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Karels Stimme schepperte plötzlich über die Außenlautsprecher der Brücke: „In optimaler Schussentfernung für Enterhaken in T – 10 ... 9... 7... 4...“ Fleischer und Metzger hetzten jetzt keineswegs zu den Drehhalterungen mit den Harpunenkanonen. – Warum hätten sie das wohl auch tun sollen? Die Bordwaffen waren logischer Weise mit dem Kapitänsstuhl verdrahtet, und wurden vom Schiffsrigger von der Brücke aus bedient. Mit den Gyros und den Sensoren konnte er logischer Weise wesentlich besser zielen – und treffen – als es Fleischer, der ansonsten als DER Spezialist für alle schweren Waffen galt, von Hand hinbekommen hätte. Die beiden Abschüsse, nahezu im selben Moment, klangen für das nicht kybernetisch verstärkte meta-menschliche Ohr wie ein einziger Schuss. Die Enterleinen spulten sich ab, ein Mix aus hochelastischem Nylon und korrosionsbeständigem Stahlseil. Ein Ruck der durch den Schiffsrumpf der «Impaler» ging, verriet, dass die Enterhaken im metallenen Deck des Frachterkolosses festen Halt gefunden hatten. „Alles klar zum Entern!“ Der Befehl des «letzten Käpt’n der kgl.-böhmischen Gebirgsmarine» wäre nicht von Nöten gewesen. Die Besatzung wusste auch so, was anlag. Dolores hatte das durchnässte Seitentuch von der Reling gelöst. Es verstand sich von selber, dass sie mit den anderen auf den Frachter übersteigen würde. Zum einen war es alle mal besser, wenn man sich selbst überzeugte, worin die Beute bestand, das trug wesentlich dazu bei, dass man bzw. Frau später nicht bei der Verteilung über den Tisch gezogen wurde... Tja, und dann war da natürlich noch Curiositys namensgebende Neugier, die alle mal stärker war, als jegliche Müdigkeit. Das Klettergeschirr war nicht das bequemste – alt, gebraucht aber halt immer noch zuverlässig. Sie prüfte den Sitz der Schnallen und Karabinerhaken. Ein Vollbad in der verdrekten [[Nordsee]] wollte sie definitiv nicht riskieren... Sie zielte mit der Enterhakenkanone. „Treffer“ Neben ihr feuerte die Scavanger sein samt Winde in den linken Unterarm eingebautes Mylarseil ebenfalls auf den Frachter hinüber. Der Pirat vom Schwarzen Volta hatte wirklich einen Haufen Chrom, Plast und Drähte in seinem Ghulkörper, aber dafür hatte er auch einen hohen Preis bezahlt. Das galt sowohl für die [[Essenz]] – was für Dolores El Kharimi deutlich zu erkennen war – wie auch für die [[Nuyen]]. Er schuldete [[Ares Macrotechnology|Ares]] bzw. deren Niederlassung dort unten in [[Sekondi]] einen nicht eben geringen Betrag. – Aber wer war Dolores denn, dem Ghul das vorzuwerfen? – Sie hatte selbst ebenfalls immer noch immense Schulden. Drek, bei ihr war es sogar noch schlimmer, da ihr Gläubiger die Kabul-Maffiya war, und bei denen auch nur mit einer Rate in Rückstand zu geraten, war gleichbedeutend mit einem langsamen, qualvollen Ende... Sie rief sich zur Ordnung. Hier und jetzt war weiß dieser und jener nicht der Ort und Zeitpunkt, um über diese prekäre persönliche Situation nachzugrübeln. Fleischer und Metzger waren bereits auf dem Frachter, Scavanger schwang sich gerade hinüber. „So, Bastet... ich weiß, Katzen landen immer auf den Pfoten... aber ich bin im Moment echt nicht in meiner besten Form. - Gib doch bitt’schön ein wenig auf mich acht...“ „Das schaffst Du, meine Tochter...“ glaubte sie die Stimme der Göttin in ihrem Kopf zu vernehmen. Sie stieß sich ab, flog über den Abgrund zwischen den Schiffsrümpfen hinweg, und landete jenseits der Reling des Megafrachters, exakt in der Gasse zwischen zwei Containertürmen. „Danke!“ Sie war bei der Landung in die Knie gegangen, und kam jetzt wieder hoch. Fehlte noch Kwang, der Koreaner. Den brauchten sie. Er sollte schließlich auf die LANs der einzelnen Container zugreifen, und die Frachtdaten auslesen... „Ey, Schlitzauge, worauf wart’ste noch?“ röhrte prompt Fleischer. – Oder war es Metzger? „Bin sofort bei Euch...“ krähte der zurück, und verschluckte den Zusatz „...Ihr Ork-Deppen!“ Der jugendliche Technomancer legte keinen Wert darauf, mit den [[Sporn]]en der Brüder nähere Bekanntschaft zu schließen. Mit einiger Mühe und ohne jegliche Elleganz hangelte er sich an der vorderen der per Harpunenkanone auf den Frachter hinüber geschossenen Enterleinen auf das Deck des anderen Schiffes. Keuchend und schnaufend ließ er sich schließlich auf den rostigen, nassen Boden plumpsen. „Oh... verdammt – warum kann Karel auf seinem Dreks-Kahn bloß keine vernünftige Enterbrücke ha’m?“ stieß er hervor. „Weil die „Impaler“ ein Flussfrachtschiff ist, und keine Galeere oder Galleasse!“ gab Dolores zurück. „Und – ehrlich gesagt – sind wir doch alle ziemlich froh darüber... Oder?“ „Mmmh ... klar,“ gab Kwang zurück. „Na dann fang mal an, Du Elektronenzauberer, und verrat uns, was sich in all diesen Containern hier verbirgt!“ verlangte die Curiosity. „Wir woll’n nämlich nich’ ewig hier rum steh’n... also hack Dich in die va’dammten [[PAN]]s rein, und lies uns die Frachtdaten aus, damit wa’ wiss’n, wo wa’ anfangen soll’n!“ knurrte Metzger, und fuhr seine [[Nagelmesser]] mit vernehmlichem „Ssst...klick“ aus- und gleich darauf wieder ein. Fleischer wirbelte dagegen ein fast anderthalb Meter langes Stemmeisen locker ums Handgelenk. Für ihn hatte das nicht mehr Gewicht als ein dünner Rattanstock. „Soka... dann woll’n wir mal...“ der koreanische [[Technomancer]] verengte seine Augen zu Schlitzen, und versuchte, sich einigermaßen zu entspannen. Das war jetzt sein Job. Jetzt konnte und würde er demonstrieren, warum er auf der «Impaler» mitfuhr, und weshalb die Piraten gut daran taten, ihn dabei zu haben... | Karels Stimme schepperte plötzlich über die Außenlautsprecher der Brücke: „In optimaler Schussentfernung für Enterhaken in T – 10 ... 9... 7... 4...“ Fleischer und Metzger hetzten jetzt keineswegs zu den Drehhalterungen mit den Harpunenkanonen. – Warum hätten sie das wohl auch tun sollen? Die Bordwaffen waren logischer Weise mit dem Kapitänsstuhl verdrahtet, und wurden vom Schiffsrigger von der Brücke aus bedient. Mit den Gyros und den Sensoren konnte er logischer Weise wesentlich besser zielen – und treffen – als es Fleischer, der ansonsten als DER Spezialist für alle schweren Waffen galt, von Hand hinbekommen hätte. Die beiden Abschüsse, nahezu im selben Moment, klangen für das nicht kybernetisch verstärkte meta-menschliche Ohr wie ein einziger Schuss. Die Enterleinen spulten sich ab, ein Mix aus hochelastischem Nylon und korrosionsbeständigem Stahlseil. Ein Ruck der durch den Schiffsrumpf der «Impaler» ging, verriet, dass die Enterhaken im metallenen Deck des Frachterkolosses festen Halt gefunden hatten. „Alles klar zum Entern!“ Der Befehl des «letzten Käpt’n der kgl.-böhmischen Gebirgsmarine» wäre nicht von Nöten gewesen. Die Besatzung wusste auch so, was anlag. Dolores hatte das durchnässte Seitentuch von der Reling gelöst. Es verstand sich von selber, dass sie mit den anderen auf den Frachter übersteigen würde. Zum einen war es alle mal besser, wenn man sich selbst überzeugte, worin die Beute bestand, das trug wesentlich dazu bei, dass man bzw. Frau später nicht bei der Verteilung über den Tisch gezogen wurde... Tja, und dann war da natürlich noch Curiositys namensgebende Neugier, die alle mal stärker war, als jegliche Müdigkeit. Das Klettergeschirr war nicht das bequemste – alt, gebraucht aber halt immer noch zuverlässig. Sie prüfte den Sitz der Schnallen und Karabinerhaken. Ein Vollbad in der verdrekten [[Nordsee]] wollte sie definitiv nicht riskieren... Sie zielte mit der Enterhakenkanone. „Treffer“ Neben ihr feuerte die Scavanger sein samt Winde in den linken Unterarm eingebautes Mylarseil ebenfalls auf den Frachter hinüber. Der Pirat vom Schwarzen Volta hatte wirklich einen Haufen Chrom, Plast und Drähte in seinem Ghulkörper, aber dafür hatte er auch einen hohen Preis bezahlt. Das galt sowohl für die [[Essenz]] – was für Dolores El Kharimi deutlich zu erkennen war – wie auch für die [[Nuyen]]. Er schuldete [[Ares Macrotechnology|Ares]] bzw. deren Niederlassung dort unten in [[Sekondi]] einen nicht eben geringen Betrag. – Aber wer war Dolores denn, dem Ghul das vorzuwerfen? – Sie hatte selbst ebenfalls immer noch immense Schulden. Drek, bei ihr war es sogar noch schlimmer, da ihr Gläubiger die [[Kabul-Maffiya]] war, und bei denen auch nur mit einer Rate in Rückstand zu geraten, war gleichbedeutend mit einem langsamen, qualvollen Ende... Sie rief sich zur Ordnung. Hier und jetzt war weiß dieser und jener nicht der Ort und Zeitpunkt, um über diese prekäre persönliche Situation nachzugrübeln. Fleischer und Metzger waren bereits auf dem Frachter, Scavanger schwang sich gerade hinüber. „So, Bastet... ich weiß, Katzen landen immer auf den Pfoten... aber ich bin im Moment echt nicht in meiner besten Form. - Gib doch bitt’schön ein wenig auf mich acht...“ „Das schaffst Du, meine Tochter...“ glaubte sie die Stimme der Göttin in ihrem Kopf zu vernehmen. Sie stieß sich ab, flog über den Abgrund zwischen den Schiffsrümpfen hinweg, und landete jenseits der Reling des Megafrachters, exakt in der Gasse zwischen zwei Containertürmen. „Danke!“ Sie war bei der Landung in die Knie gegangen, und kam jetzt wieder hoch. Fehlte noch Kwang, der Koreaner. Den brauchten sie. Er sollte schließlich auf die LANs der einzelnen Container zugreifen, und die Frachtdaten auslesen... „Ey, Schlitzauge, worauf wart’ste noch?“ röhrte prompt Fleischer. – Oder war es Metzger? „Bin sofort bei Euch...“ krähte der zurück, und verschluckte den Zusatz „...Ihr Ork-Deppen!“ Der jugendliche Technomancer legte keinen Wert darauf, mit den [[Sporn]]en der Brüder nähere Bekanntschaft zu schließen. Mit einiger Mühe und ohne jegliche Elleganz hangelte er sich an der vorderen der per Harpunenkanone auf den Frachter hinüber geschossenen Enterleinen auf das Deck des anderen Schiffes. Keuchend und schnaufend ließ er sich schließlich auf den rostigen, nassen Boden plumpsen. „Oh... verdammt – warum kann Karel auf seinem Dreks-Kahn bloß keine vernünftige Enterbrücke ha’m?“ stieß er hervor. „Weil die „Impaler“ ein Flussfrachtschiff ist, und keine Galeere oder Galleasse!“ gab Dolores zurück. „Und – ehrlich gesagt – sind wir doch alle ziemlich froh darüber... Oder?“ „Mmmh ... klar,“ gab Kwang zurück. „Na dann fang mal an, Du Elektronenzauberer, und verrat uns, was sich in all diesen Containern hier verbirgt!“ verlangte die Curiosity. „Wir woll’n nämlich nich’ ewig hier rum steh’n... also hack Dich in die va’dammten [[PAN]]s rein, und lies uns die Frachtdaten aus, damit wa’ wiss’n, wo wa’ anfangen soll’n!“ knurrte Metzger, und fuhr seine [[Nagelmesser]] mit vernehmlichem „Ssst...klick“ aus- und gleich darauf wieder ein. Fleischer wirbelte dagegen ein fast anderthalb Meter langes Stemmeisen locker ums Handgelenk. Für ihn hatte das nicht mehr Gewicht als ein dünner Rattanstock. „Soka... dann woll’n wir mal...“ der koreanische [[Technomancer]] verengte seine Augen zu Schlitzen, und versuchte, sich einigermaßen zu entspannen. Das war jetzt sein Job. Jetzt konnte und würde er demonstrieren, warum er auf der «Impaler» mitfuhr, und weshalb die Piraten gut daran taten, ihn dabei zu haben... | ||
===It's Hacking-Time!=== | ===It's Hacking-Time!=== |
Version vom 13. November 2015, 19:31 Uhr
Eine wirklich nasse Katze
Nacht, Nordsee, zwei, drei Meilen vor der Küste, irgendwann, in den ersten Jahren nach dem Crash 2.0
Auf Kaperfahrt
Dolores stieß einen sehr langen, sehr undamenhaften spanischen Fluch aus, nach dem sie mit einiger Mühe wieder auf die Beine gekommen war, nach dem der Schwall drekkiges Nordseewasser sie erwischt und glatt umgeworfen hatte. Die Brühe war eiskalt, sie stank, und sie hinterließ einen widerlichen Film aus Petrochemikalien und Substanzen auf der Haut, die vermutlich toxisch, potentiell krebserregend und erbgutschädigend waren… War es wirklich Bastets Wille gewesen, dass sie ausgerechnet hier auf die Jagd ging? – Sie schalt sich selbst für die Zweifel, da sie im Hinterkopf das gekränkte Murren ihrer Schutzpatronin hörte: „Hast Du so wenig Zutrauen zu Deiner Göttin…?“ Ja – sicher… Sie spürte wie die Kälte sich in ihren Knochen festsetzte. Der Sturz, rücklings auf die rostigen Eisenplanken des Decks hatte ihrer Wirbelsäule auch nicht wirklich gut getan. Sie hakte sich mit der Linken am Geländer… nein, auf Schiffen hieß so was ja Reling… ein, ehe eine weiterer Welle sie erwischte. Diesmal blieb sie auf den Beinen. Sie hoffte, dass es sich wenigstens lohnen würde. Ein Fischzug, bei dem anständig was hängen blieb, sollte es schon werden. – Wenn nicht, würde sie sich mal mit dieser Schieberin unterhalten müssen… Das Schiff mit dem einprägsamen Namen «The Impaler of Irongrad» stampfte ungerührt durch die rollende See. Eigentlich war dieser verfluchte Dreks-Kahn nicht wirklich dafür gedacht, sich auf der Nordsee zu bewegen: «The Impaler» war ein Flussschiff, gebaut ursprünglich wohl von Ruhrmetall, aber mittlerweile nur mehr vage in seiner Grundform zu erkennen. Karel, Eigner und Kapitän dieses Eimers, hatte allerdings erklärt, dass sein „Schiffchen des schon aushalt’n“ könne. Dolores – oder Curiosity, wie sie in den Schatten hieß – hoffte, dass er sich und sein betagtes Fahrzeug da nicht gewaltig überschätzte…
Auf der Brücke der «The Impaler of Irongrad» war der Kapitän in die Steuerung des Frachters eingestöpselt, mit welchem er über Jahrzehnte hinweg die Schwarzmeerküste, die Donau, den Rhein-Main-Donaukanal, den Mittellandkanal und die Elbe befahren hatte. Er spürte jede Welle, die gegen den vielfach geflickten Rumpf donnerte, jedes 10tel Grad, dass die Schiffsdiesel unrund liefen… Die Sensoren des Schiffs lieferten ihm alle Daten, die die Phalanx überhaupt zu messen ausgelegt war: Höhe und Kraft der Dünung, Wassertemperatur, Windrichtung und -geschwindigkeit, relative und tatsächliche Sicht, Entfernung von der Küste, exakte Fahrtrichtung… Obwohl er seine Augen (hochwertige Headware von Zeiss) geschlossen und auf Nullstellung gedreht hatte, «sah» er alles, was die Außenkameras ihm im IR- und optisch Spektrum übermittelten. Ein Rigger war einem herkömmlichen Rudergänger oder Wachhabenden im Verhältnis von wenigstens 50 zu 1 überlegen! Wenn das Ziel auf dem Radar auftauchte, wusste er es im selben Augenblick, ohne auf den Schirm sehen zu müssen, was ihn sowieso nur abgelenkt hätte… „Da… ein Radar-Echo.“ Schwach nur, kaum von den öligen Wellen der Nordsee zu unterscheiden, aber es war eindeutig ihr Ziel heute Nacht. Seines, das von Scavanger, der seine Franchi längst geladen hatte, und jetzt sein ohnehin schon rasierklingenscharfes Wurfbeil wieder und wieder über einen Wetzstein zog, das der beiden Orks Fleischer und Metzger und natürlich auch das Ziel der auf Spanisch fluchenden Katzenschamanin respektive Hobgoblin-Hexe… Die Subroutine für die schiffsmontierten Waffen zuständig war, meldete ihm, dass Fleischer und Metzger die beiden Harpunenkanonen klar machten, die sie erst heute Vormittag mit den Bordsystemen verdrahtet hatten. Die Dinger waren an Bug und Heck auf schwenkbaren Lafetten installiert, wie Drehbrassen auf den Piratenseglern vergangener Tage, und würden die Enterleinen 100%ig sicher ins Ziel bringen. Die Gyros glichen nahezu jeden Wellengang aus!
Unten, auf dem Hauptdeck, hatte Curiosity das fremde Schiff jetzt auch mit bloßem Auge ausgemacht. Ein plumper Koloss. 8mal so lang, wie die «Impaler», 5mal so breit, und mit Stapeln aus 10 oder mehr Lagen genormter Container beladen. Der halbwüchsige Koreaner, der sich Kwang oder auch «Matrix-Hotdog» nannte (je nach dem, in welcher Stimmung er war) hatte sich in eine schwarzblaue Ölhaut gehüllt, die ihn wie eine fette Fledermaus aussehen ließ. Irgendwie passte dass sogar zu diesem Höllenschiff, auf dem sie hier fuhren… Kwangs Job würde es sein, auf die jeweiligen LANs der einzelnen Container zuzugreifen. So konnten sie in Sekundenschnelle zuverlässig feststellen, welche der Truhen aus Stahl- und Alublech die Schatzkisten waren, für die sich der ganze Aufwand hoffentlich rentierte. Kein Pirat knackte jemals alle Container auf einem der vollautomatischen Megafrachter… Curiosity band sich mit ihrer seidenen Schärpe an der rostigen Reling fest, ehe sie die Augen schloss, um ihren Geist auf die Reise zu schicken. Echte Seide! Das gute Stück würde sie ebenfalls wegschmeißen können… Sie hoffte wirklich, dass es sich lohnen würde!
Astrale Aufklärung
Die Nässe, die Kälte… der Schmutz, den das drekkige Nordseewasser hinterlassen hatte, und der jetzt auf ihrer Haut klebte – das alles erschwerte es Dolores/Curiosity, sich von ihrem Körper zu lösen. Sie musste alle Willensanstrengung zusammen nehmen, um die fleischliche Welt abzustreifen, und über die Wellen, welche den Drek und die Krankheit des schon längst kollabierten Ökosystems Nordsee ausstrahlten, wie schwarzes Licht, hinweg zu ihrem Ziel zu fliegen. Eigentlich sollte der gewaltige Containerfrachter unbemannt und ferngesteuert unterwegs sein. – Ob das aber wirklich so war, ließ sich nur feststellen, wenn sie ihr Ziel astral erkundete. Andernfalls mochte es für die Entermannschaft nachher eine mehr als unangenehme Überraschung geben… Sie nahm in einiger Entfernung, weit östlich von ihrem Ziel mehrere Auren wahr. Kleine Auren, die in heller Angst und Panik brannten, und dazu eine größere… ganz offensichtlich ein Dualwesen. Glühend in seiner primitiven Gier und vor schwarzem Hunger. Ein Abramshummer, welcher gerade dabei war, über eine kleinere Gruppe der in der Nordsee - entgegen allen Prognosen – noch nicht endgültig ausgestorbenen Schweinswale herzufallen… Dolores zwang sich, sich auf ihr Ziel zu konzentrieren. Dieser Piratenangriff, für den sie die astrale Kundschafterin machte, war letztlich wie ein Run. Die Chummer verließen sich darauf, dass sie ihren Teil des Jobs tat. – Auch wenn es sie hart ankam, durfte sie Ihrer Neugier auf den ungleichen Kampf, der sich da draußen in den eisigen Wellen abspielte, nicht nachgeben: Sie hatte eine klar definierte Aufgabe zu erfüllen! Sie schwebte jetzt über dem Frachter, der auf der Astralebene ein noch schwärzerer, noch plumperer Klotz war, als in der wirklichen Welt. Totes, lebloses Material… Ihr Blick wanderte noch mal zu dem fernen Wetterleuchten des Kampfes der aquatischen Fauna. – Im Astralraum betrug die Entfernung nur einen Gedanken. Sie konnte ja mal schnell… „Nein!“ rief sie sich zur Ordnung. Sie erinnerte sich noch zu gut daran, wie Sie einer ihrer Mitrunner seiner Zeit in Spanien, vor über 20 Jahren, auf einem ihrer ersten Runs, harsch angefahren hatte „Curiosity kills he Cat!“ als sie wegen ihrer Neugierde das ganze Unternehmen in Gefahr gebracht hatte. Ihre schnippische Antwort: „No – CURIOSITY THRILLS THE CAT!“ war zu ihrem Straßennamen geworden, der bis heute hängen geblieben war. Heute würde sie nicht den Fehler begehen, und die Piratenchummer hängen lassen, weil sie ihre Neugier nicht bezähmen konnte! – Sie hatte seit damals ja schließlich auch dazu gelernt, und war ein wenig reifer geworden…
Curiosity ließ ich in die Tiefe sinken. Das Deck des Frachters. Die Hintergrundstrahlung der verseuchten Nordsee machte es ihr schwer, auf dem Deck, zwischen den Türmen aus Containern irgendwelche Details wahr zu nehmen. – Aber da war etwas… sie spürte es. Das war mehr, als nur irgend so ein emotionaler Rückstand, den ein Verladearbeiter hinterlassen haben mochte. Es gab auf diesem Riesenschiff eine schwache Präsenz, die von einer - zumindest semiintelligenten - Lebensform ausging. „Moment…“ Curiosity versuchte, ihre Wahrnehmung zu präzisieren. Wo steckte dieser intelligente Critter? Die meisten derartigen Wesen waren dual und damit astral aktiv. Sie musste wissen, mit was sie es zu tun bekam, sonst konnte es hässlich für sie werden… „Bastet – lass mich sehen, wer sich da vor mir zu verstecken versucht… Wer schleicht da durch die Schatten?“ Dolores vermeinte ein neugieriges Schnuppern der Göttin zu verspüren. Bastets Intentionen deckten sich in diesem Fall mit ihren eigenen: Neugier war kein Fehler. Der unbedingte Drang, wissen zu wollen, was sich hinter der nächsten Ecke verbarg, verborgen unter dem Schleier der Nacht – das trieb im Moment sowohl sie wie auch ihre Patronin an…
Dann entdeckte sie etwas: wenigstens 2 der Container an der linken, oberen Ecke des massiven Blocks von stählernen, genormten Frachtbehältern waren mit astralen Hütern umgeben. – „Wieso?“ fragte sich Dolores. Niemand wandte Karma und Nuyen oder Euros auf, um einen Hüter um rostfleckige Blechschachteln zu bauen, wenn diese nicht etwas sehr, sehr kostbares enthielten. – Oder etwas äußerst gefährliches. Das astrale Äquivalent eines Lächelns kerbte ihre Züge. Diese Frage würde sich nur beantworten lassen, wenn sie nachguckte: Neugier war in diesem Fall nicht nur ihr gutes Recht, sondern sogar ihre Pflicht gegenüber den Piraten-Chummern… Beinahe hätte sie die andere Aura übersehen, die von der allgegenwärtigen, unerfreulichen Hintergrundstrahlung und den beiden Hütern überlagert wurde. „Drek! Drek, Drek, Megadrek!“ Was da hinter dem Containerberg hervorkam, waren zwei verfluchte Gabrielshunde… freilaufende Gabrielshunde! Offensichtlich waren die Eigentümer der Fracht sehr daran interessiert, dass diese sicher und unangetastet ihr Ziel erreichte. Curiosity fragte sich, wie sie ihre paranormalen Wachhunde zurückpfeifen wollten, wenn das Schiff anlegte, und entladen werden musste oder für einen Teil der Fahrtstrecke eine (Meta-) menschliche Crew an Bord ging. Die wahrscheinlichste Antwort gefiel ihr nicht wirklich: Irgendwo auf dem Schiff war auch noch ein Tiertrainer oder Hundeführer, der die Bestien kontrollierte… Sie fragte sich unwillkürlich, warum sie nicht wenigstens den längst bemerkt hatte. „Überleg’ mal… hat Dir Deine Göttin sowenig über die höheren Mysterien beigebracht?“ hörte sie Bastets Stimme in ihrem Kopf maunzen. Es klang ein Bisschen quengelnd. Die Göttin schien ein wenig ungeduldig mit ihr zu sein, und wohl auch leicht enttäuscht von ihrer Schülerin… „Ein Initiat… einer, der seine Aura maskiert!“ begriff die Hobgoblinhexe. „Doppel-Mega-Super-Drek!“
Ma’hout hatte die Augen geschlossen – aber das hieß keinesfalls, dass er am Arbeitsplatz pennte: Der Geist des initiierten Magiers schwebte auf der Astralebene. Er war absolut wach und ein zynisches Lächeln ließ ihn die blendend weißen Zähne zwischen den wulstigen Lippen blecken. Er hatte die Hexe der Piraten von dem Moment an, als ihre Astralgestalt den Frachter betrat in seinem astralen Blickfeld gehabe, während sie ihn bis lang nicht wahrgenommen hatte... Auramaskierung war schon eine feine Sache. Er dachte nicht gerne an seine Initiierung zurück. Es war keine angenehme Erfahrung gewesen – aber dafür hatte es sich gelohnt... Er beobachtete die Hexe weiter. Die Aura war ... eigenartig. Sie war vom Tod gezeichnet gewesen, hatte aber wieder ins Leben zurück gefunden – und das ohne schwarze Flecken toter, verlorener Essenz. Er sollte sie nicht unterschätzen, aber er war sich sicher, dass sie für seine Gabrielshunde nicht mehr als eine bessere Zwischenmahlzeit war. Die Biester hatten es wirklich verdient, dass er ihnen endlich mal wieder die Gelegenheit zur freien Jagd ließ. Die Aura veränderte sich. Die Hexe war unsicher... ein grelles Rot – jetzt hatte sie also seine Tiere entdeckt. Also durfte ihr Astralkörper jetzt nicht mehr vom Schiff runter kommen, um ihre Piratenfreunde zu warnen. Er wollten den Hunden den mentalen Befehl erteilen, die Hexe anzugreifen, ehe sie sich sammeln konnte. Moment: jetzt veränderte sich ihre Aura erneut. Das grelle Aufblitzen war nicht miss zu verstehen – sie hatte ihn entdeckt. „Verflucht auch!“ Ma’hout hatte sich zu viel Zeit gelassen... viel zu viel Zeit. Die Astralgestalt der Hexe schoss in die Höhe. Die Gabrielshunde gingen ab, wie Raketen – aber die dualen Tiere hatten keine Chance mehr, sie zu erwischen. Der Magier in seinem Container wusste, dass er sie stoppen musste, ehe sie in ihren Körper zurückkehrte. Er durchstieß die Barriere, den polarisierten Hüter, um die Gegnerin in ihrer Astralgestalt abzufangen.
Dolores sah den Zauberer mit der maskierten Aura – der jetzt deutlich zu erkennen war – durch den polarisierten Hüter aus dem Container hervorschießen. – Da hatte sie ihn natürlich nicht entdecken können... Sie stieg in die Höhe. Die Gabrielshunde waren – genau wie der Barghest, der Schwarze Bluthund oder der Höllenhund – Dualwesen, die sie auch in ihrer Astralgestalt attackieren konnten. Sie wusste über diese erwachten Köter bescheid, die mehr als gefährlich waren. Sogar begrenzte Gestaltwandlerfähigkeiten besaßen Gabrielshunde – auch wenn sie damit eine Tochter Bastets wie sie natürlich nicht täuschen konnten. Aber sie kannte auch die Grenzen ihrer Gegner: Sich selbst astral projizieren, ihren Körper hinter sich lassen, wie sie es auf der «Impaler» getan hatte, konnten die Paracritter nicht. Wenn sie 10, 20 Meter über dem Schiff schwebte, konnten die Tiere ihr nichts tun. Der Magier, der sie kontrollierte und beherrschte allerdings... das war eine andere Geschichte. - So ein Initiat war zwangsläufig ein erfahrener und - wenn er in der Sicherheitsbranche tätig war - auch im Astralkampf erprobter Magier. Sie wandte sich hoch über dem Containerschiff schwebend zu ihrem Verfolger um. Er war schon zu dicht, als dass es noch mit einem raschen Rückzug getan war. Sie musste sich dem Gegner stellen...
Ma’hout ärgerte sich. Wenn er als Begleitschutz auf einem Frachter mitfuhr – speziell hier auf der Nordsee – hatte er fast nie Geister in Bereitschaft. Die Hintergrundstrahlung sorgte dafür, dass man fast immer psychopathische Bewohner des Astralraums bekam, die kaum zu kontrollieren waren, und Befehle – wenn überhaupt – nur widerwillig befolgten. Schlimmstenfalls erwischte man sogar einen komplett toxischen Geist, der seinen Beschwörer in Stücke zu reißen oder mit Säure zu ersäufen versuchte... Die Gabrielshunde hingegen waren noch immer zuverlässig gewesen. – Jetzt allerdings hätte der Magier liebend gerne einen Geist an der Hand gehabt, den er der Hexe hinterher hetzen konnte. Aber Wünsche erfüllten sich nun einmal auch für einen Zauberer in der Sechsten Welt nicht so ohne weiteres, und er musste die Astralgestalt seiner Gegnerin selbst verfolgen.
Curiosity hatte – ganz im Gegensatz zu dem Sicherheitsmagier – vorgesorgt, so dass sie jetzt einen Geist auf der Hinterhand hatte. Keinen Geist des Wassers – nein, bewahre! Bei der toxischen Brühe, die sich Nordsee schimpfte, wäre das wirklich eine ziemlich dämliche Idee gewesen, erst recht, da sie mit den wässrigen Bewohnern des Astralraums ohnehin nicht so wirklich gut auskam... Ein Geist der Flamme dagegen war schon wesentlich eher ihre Kragenweite, und würde sowohl beschworene Wassergeister eines Sprücheschleuderers von der anderen Feldpostnummer als auch eventuelle freie toxische Meeresgeister locker auskontern... Sie zwang sich für den Moment zur Konzentration, auch wenn die Umgebung und der sich rasend schnell nähernde Wachmagier mit seinen glühenden Kampf- und Kraftfoki ihr das nicht unbedingt erleichterte: „Hierophant – komm her zu mir! Komm! Komm und höre meine Wünsche... komm...!“ Sie spürte den Geist, von dem eine unangenehme Ausstrahlung ausging. Fast körperlich meinte sie, das widernatürliche Feuer der Radioaktivität wahrzunehmen. Strahlung, die man nicht sehen konnte, und die eine so fatale Übereinstimmung mit dem Effekt aufwies, der in der Tripolis-Hot-Zone herrschte, und dessen Folgen sie beinahe umgebracht hätten... Sie musste sich zwingen, den Geist, der eine deutlich toxische – sprich radioaktive - Ausprägung aufwies, nicht sofort wieder wegzuschicken. Sie wusste wohl, dass so manches an unter der fragwürdigen Versiegelung aus bröckelndem Beton begrabenes radioaktivem Material auf dem Grund des Meeres ruhte. Verzweifelt versuchte sie, ihren Willen zu fokussieren: „ Hierophant halte diesen Magier auf! Stoppe ihn! Er darf mich nicht erreichen! – Weder er selbst, noch seine Sprüche... Hierophant, hörst Du den Wunsch Deine Herrin? ... dann – madre a diable – gehorche mir! Gehorche Deiner Herrin, creatura maledetta… fluchbeladene Kreatur!“ Sie wies mit der ausgestreckten Rechten auf den Magier, der sie im Bruchteil eines Augenblicks eingeholt haben würde, während sie die Linke um den Geisterfokus krallte. Endlich, nach einer – wie ihr schien – halben Ewigkeit des mentalen Kampfes um die Vorherrschaft, fügte sich der verdorbene, leicht radioaktive Flammengeist ihren Wünschen. Es kostete ihn weniger als den Splitter eines Gedankens, die Barriere zwischen der Hobgoblinhexe und dem Wachmagier aufzubauen.
Eine Wand aus giftig-gelbem, an Neon und Warnschilder vor radioaktiven Gefahren erinnernden Glühen entstand in der kalten Nachtluft. Der Astralleib des Magiers, der eben noch wie ein Kastenteufel auf Dolores hatte losfahren wollen, stoppte abrupt. Ma’hout zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Wenn er in diese Barriere hineingerauscht wäre, hätte das richtig schmerzhaft werden können... „Die Hexe dieser Piraten muss des Teufels sein!“ dachte er bei sich. Ein toxischer Flammengeist war nicht unbedingt das, womit er gerechnet hatte. – Und das hier oben, 10 Meter über Deck, wo die Grabrielshunde ihrem Herrn nicht beistehen konnten... Er rammte einen Kampffokus – einen Stockdegen, den er in mühevoller Arbeit besprochen und gebunden hatte – nach vorn, versuchte die Barriere zu zerfetzen. „Verfluchter Drek...!“ entfuhr es ihm, als er erkannte, dass die astrale Wand Mana, das er in seinen Angriff investierte, aufsog, und dadurch noch stärker und massiver wurde. Hastig riss er den Kampffokus zurück, worauf die Barriere prompt ein Stück in seiner Richtung ausdehnte, und ihn zwang, selbst zurückzuweichen, wenn er nicht mit der krankmachenden Strahlung in Kontakt kommen wollte. Ma’hout brachte noch etwas mehr Abstand zwischen sich und diese gefräßige, strahlende Mauer. Ihm war jetzt sonnenklar – welch unpassender Vergleich, dachte er – was die Hexe in der Vergangenheit an die Schwelle des Todes gebracht hatte. Strahlenkrankheit... um so unverständlicher, wieso sie sich jetzt mit einem toxischen – respektive radioaktiven – Feuergeist einließ. War sie womöglich einer von diesen Toxikern, die in der SOX ihr Unwesen trieben? Nein, wohl nicht... Der Geist, den sie auf ihn gehetzt hatte, war dagegen giftig bzw. radioaktiv und verdorben. Ma’hout fluchte. Er hatte in seiner Überraschung zu lange gezögert. Jetzt war es zu spät, den Manapfeil auf die Reise zu schicken, mit dem er die Barriere hatte durchbrechen wollen. Sein Gegner übernahm die Initiative. Knöcherne, schwarz-verbrannte Klauenhände schoben sich aus der Wand, und schleuderten ein Bündel ungesund gelber Flammen nach dem Astralleib des Magiers. Der ließ den Manapfeil fallen, und baute in letzter Sekunde die eigene Spruchabwehr auf. Der Feuerball des Geistes wuchs, während er den Abstand zu seinem Doppelkörper überwandt, auf die dreifache Größe an. Von nicht mehr als einer Faust voll Flammen zu einem kürbisgroßen Geschoss, in dem der Initiat eine verzerrte, schreiende Totenkopffratze zu erkennen glaubte. Der Treffer war wie ein glühender Schmiedehammer. Seine Spruchabwehr war bei weitem nicht so wirkungsvoll, wie er sich das erhofft hatte. Ohne sie hätte das Geschoss aus radioaktivem Feuer ihn mit Sicherheit umgebracht – aber auch so erwischte ihn noch genug, um ihn vor Schmerzen schreiend in seinen fleischlichen Körper zurückstürzen zu lassen. Ehe er endgültig das Bewusstsein verlor, konnte Ma’hout in seinem abgeschirmten Container noch einen Blick auf seine Hände werfen, die sich mit dicken Brandblasen überzogen hatten. Hätte er in einen Spiegel sehen können, wäre er wohl vor seinem eigenen Anblick geflohen... Der Geist – Hierophant – zischte enttäuscht, als sich sein astraler Gegner in Sicherheit brachte, ehe er einen zweiten Flammengruß auf die Reise schicken und seine Barriere schmelzen konnte. Von Mordlust erfüllt wollte er dem Magier nachsetzen, sich seinen Weg durch den Hüter brennen, die Dualwesen auf dem metallenen Boden, der auf den trüben Fluten der Nordsee schwamm, einäschern... und wurde von einem scharfen Befehl zurückgerufen: „Halt! Stop! – Halte ein, Hierophant, halte ein, puta madre... Nein! Geh’, geh, gehorche dem Befehl Deiner Herrin... GEH!“ zum Glück fiel es Curiosity noch rechtzeitig ein, die Worte „... bis Deine Herrin Dich erneut ruft!“ hinzuzufügen. Hätte sie das vergessen, hätte sie alle Dienste, die der Geist mit dem Namen Hierophant ihr noch schuldig war, in den Wind schreiben müssen. In der Vergangenheit hatte sie solche kostspielige Fehler begangen, aber Bastet würde ihr die astralen Ohren lang ziehen, wenn sie das bei der Beschwörung dieses unfreundlichen Flammengeistes eingesetzte Mana und die aufgewandten Materialien derart verschwendete. Dem Geist seinen Willen zu lassen, wäre allerdings ebenfalls keine gute Idee gewesen, denn ihre Piraten-Chummer hatten unter Garantie keinen Bock, Strahlenschutzanzüge anzulegen, ehe sie diesen Dreks-Frachter enterten... Vermutlich hatten sie solche spezielle Schutzkleidung überhaupt nicht an Bord. Davon abgesehen ließ Interesse der Hehler und Schieber an der angebotenen Beute auch drastisch nach, wenn diese schon von weitem jeden Geigerzähler zum durchdrehen brachte. „Nein,“ sagte sie sich. „Die Hundchen müssen wir anders ausschalten...“ Sie fokussierte ihre Gedanken darauf, die dualen Tiere zwischen den Containern wiederzufinden. Diesmal war das keine Kunst. „So, Bastet, jetzt hilf mir mal, diese erwachten Köter in Anubis’ finsteres Reich zu schicken...“ „Nichts lieber als das! – Diese dümmlichen Hunde sind doch keine Gegner für mich... Sollten sie für meine Tochter allerdings auch nicht sein...!“ vernahm Dolores die Stimme der Göttin, wobei sie das leicht vorwurfsvolle Murren durchaus heraushörte. Sie konzentrierte sich. Mana sammelte sich um ihre Fingerspitzen, wurde zu weißem, gleißendem Licht, das sie in zwei Blitzen auf das Deck des Megafrachters niederfahren ließ, die sich unterwegs jeweils noch ein paar mal teilten und verästelten. Die Gabrielshunde hatten nicht die Spur einer Chance. Die schwarzen, schattenhaften Hundekörper schwebten Minuten lang von Blitzen umspielt einen halben Meter über dem Deck, ehe sie den Gesetzen der Schwerkraft gehorchten, und mit einem „Platsch“ auf den eisernen Planken landeten. Sie ließ sich wieder ein Stückchen nach unten sinken. Ein schneller Blick auf die Stellen, wo mal die Aura der erwachten Tiere gewesen war, verriet ihr, was sie sich eigentlich denken konnte: „Exitus!“ Die erwachten Wachköter waren Geschichte. Der Entzug des Zaubers erwischte sie jetzt ziemlich heftig und es kostete sie alle Willenskraft, ihre Gedanken zusammen zu halten, und in ihren Körper an Bord der «Impaler» zurück zukehren.
Die Realität hat mich wieder...
Als sie von einer fleischigen – wenn auch nicht besonders großen – Hand an der Schulter gefasst wurde, brauchte sie einen Moment, um zu realisieren, dass sie sich auf der «Impaler of Irongrad» befand. Halb lag sie auf den rostigen Decksplanken, halb hing sie über dem Geländer. Ihr Mageninhalt unternahm gerade einen ernst gemeinten Versuch, sich den Weg durch ihre Kehle ins Freie zu bahnen. Das Schiff drehte sich um sie, nein... das stimmte nicht ganz: Es stampfte lediglich durch die Nordseewellen, die gerade ihre letzte halbverdaute Mahlzeit geschluckt hatten. Ihr war immer noch speiübel, und ihr Kopf war mit Sicherheit auf die dreifache Größe angeschwollen. „Wenn Du mit Fische fütta’n fertig bist, kannst Du uns ja ma’ va’rat’n, was Deine astrale Erkundung gebracht hat, Süße“ verlangte Fleischer und fletschte die Hauer. Metzger, der zweite Ork lachte roh. „Oder wills’e Deine Chummers dumm sterb’n lass’n Mieze?“ Dolores El Kharimi erwog, den beiden einen kleinen Betäubungsball zukommen zu lassen. Sie verzichtete darauf, da sie sich mehr als geschlaucht fühlte, und der nächste Entzug sie endgültig völlig hilflos gemacht hätte. „Was ist denn nun auf dem Frachter los gewesen?“ wollte Kwang wissen. Der Technomancer war es gewesen, der sie an der Schulter gepackt und so abrupt ins Diesseits zurückgeholt hatte. „Die Lightshow, die dort drüben mit einem Mal losging, war echt... mmh, na ja: Strange...!“ „Ein initiierter Wachmagier und seine Gabrielshunde bei denen – ein Flammengeist und eine Hand voll Manablitze auf meiner Seite...“ antwortete sie müde. „Wer hat gewonnen?“ die Frage des halbwüchsigen Koreaners war in Curiositys Augen so was von dämlich... Die konnte doch wohl nur ironisch gemeint sein – oder? „Wer steht hier ... mhmm ... gesund und munter neben Dir, Du koreanischer Mops?“ lautete ihre Gegenfrage. „Du kennst doch das Sprichwort: History – make it – or be it!“ “Also is’ die Opposition Geschichte!” grunzte Fleischer. „Da hat unsa Kätzchen ja ma’ wirklich ordentliche Arbeit geleistet – wa’?“ Dolores war zu müde, um erstaunt darüber zu sein, dass der grobschlächtige Orkpirat offensichtlich ihr englisches Wortspiel verstanden hatte. „Wenn ihr den Megafrachter entern wollt – jetzt habt ihr dort drüben freie Bahn...“ murmelte sie, wobei ihre Augenlieder bereits wieder auf Halbmast zu rutschen drohten.
Klar zum Entern
Karels Stimme schepperte plötzlich über die Außenlautsprecher der Brücke: „In optimaler Schussentfernung für Enterhaken in T – 10 ... 9... 7... 4...“ Fleischer und Metzger hetzten jetzt keineswegs zu den Drehhalterungen mit den Harpunenkanonen. – Warum hätten sie das wohl auch tun sollen? Die Bordwaffen waren logischer Weise mit dem Kapitänsstuhl verdrahtet, und wurden vom Schiffsrigger von der Brücke aus bedient. Mit den Gyros und den Sensoren konnte er logischer Weise wesentlich besser zielen – und treffen – als es Fleischer, der ansonsten als DER Spezialist für alle schweren Waffen galt, von Hand hinbekommen hätte. Die beiden Abschüsse, nahezu im selben Moment, klangen für das nicht kybernetisch verstärkte meta-menschliche Ohr wie ein einziger Schuss. Die Enterleinen spulten sich ab, ein Mix aus hochelastischem Nylon und korrosionsbeständigem Stahlseil. Ein Ruck der durch den Schiffsrumpf der «Impaler» ging, verriet, dass die Enterhaken im metallenen Deck des Frachterkolosses festen Halt gefunden hatten. „Alles klar zum Entern!“ Der Befehl des «letzten Käpt’n der kgl.-böhmischen Gebirgsmarine» wäre nicht von Nöten gewesen. Die Besatzung wusste auch so, was anlag. Dolores hatte das durchnässte Seitentuch von der Reling gelöst. Es verstand sich von selber, dass sie mit den anderen auf den Frachter übersteigen würde. Zum einen war es alle mal besser, wenn man sich selbst überzeugte, worin die Beute bestand, das trug wesentlich dazu bei, dass man bzw. Frau später nicht bei der Verteilung über den Tisch gezogen wurde... Tja, und dann war da natürlich noch Curiositys namensgebende Neugier, die alle mal stärker war, als jegliche Müdigkeit. Das Klettergeschirr war nicht das bequemste – alt, gebraucht aber halt immer noch zuverlässig. Sie prüfte den Sitz der Schnallen und Karabinerhaken. Ein Vollbad in der verdrekten Nordsee wollte sie definitiv nicht riskieren... Sie zielte mit der Enterhakenkanone. „Treffer“ Neben ihr feuerte die Scavanger sein samt Winde in den linken Unterarm eingebautes Mylarseil ebenfalls auf den Frachter hinüber. Der Pirat vom Schwarzen Volta hatte wirklich einen Haufen Chrom, Plast und Drähte in seinem Ghulkörper, aber dafür hatte er auch einen hohen Preis bezahlt. Das galt sowohl für die Essenz – was für Dolores El Kharimi deutlich zu erkennen war – wie auch für die Nuyen. Er schuldete Ares bzw. deren Niederlassung dort unten in Sekondi einen nicht eben geringen Betrag. – Aber wer war Dolores denn, dem Ghul das vorzuwerfen? – Sie hatte selbst ebenfalls immer noch immense Schulden. Drek, bei ihr war es sogar noch schlimmer, da ihr Gläubiger die Kabul-Maffiya war, und bei denen auch nur mit einer Rate in Rückstand zu geraten, war gleichbedeutend mit einem langsamen, qualvollen Ende... Sie rief sich zur Ordnung. Hier und jetzt war weiß dieser und jener nicht der Ort und Zeitpunkt, um über diese prekäre persönliche Situation nachzugrübeln. Fleischer und Metzger waren bereits auf dem Frachter, Scavanger schwang sich gerade hinüber. „So, Bastet... ich weiß, Katzen landen immer auf den Pfoten... aber ich bin im Moment echt nicht in meiner besten Form. - Gib doch bitt’schön ein wenig auf mich acht...“ „Das schaffst Du, meine Tochter...“ glaubte sie die Stimme der Göttin in ihrem Kopf zu vernehmen. Sie stieß sich ab, flog über den Abgrund zwischen den Schiffsrümpfen hinweg, und landete jenseits der Reling des Megafrachters, exakt in der Gasse zwischen zwei Containertürmen. „Danke!“ Sie war bei der Landung in die Knie gegangen, und kam jetzt wieder hoch. Fehlte noch Kwang, der Koreaner. Den brauchten sie. Er sollte schließlich auf die LANs der einzelnen Container zugreifen, und die Frachtdaten auslesen... „Ey, Schlitzauge, worauf wart’ste noch?“ röhrte prompt Fleischer. – Oder war es Metzger? „Bin sofort bei Euch...“ krähte der zurück, und verschluckte den Zusatz „...Ihr Ork-Deppen!“ Der jugendliche Technomancer legte keinen Wert darauf, mit den Spornen der Brüder nähere Bekanntschaft zu schließen. Mit einiger Mühe und ohne jegliche Elleganz hangelte er sich an der vorderen der per Harpunenkanone auf den Frachter hinüber geschossenen Enterleinen auf das Deck des anderen Schiffes. Keuchend und schnaufend ließ er sich schließlich auf den rostigen, nassen Boden plumpsen. „Oh... verdammt – warum kann Karel auf seinem Dreks-Kahn bloß keine vernünftige Enterbrücke ha’m?“ stieß er hervor. „Weil die „Impaler“ ein Flussfrachtschiff ist, und keine Galeere oder Galleasse!“ gab Dolores zurück. „Und – ehrlich gesagt – sind wir doch alle ziemlich froh darüber... Oder?“ „Mmmh ... klar,“ gab Kwang zurück. „Na dann fang mal an, Du Elektronenzauberer, und verrat uns, was sich in all diesen Containern hier verbirgt!“ verlangte die Curiosity. „Wir woll’n nämlich nich’ ewig hier rum steh’n... also hack Dich in die va’dammten PANs rein, und lies uns die Frachtdaten aus, damit wa’ wiss’n, wo wa’ anfangen soll’n!“ knurrte Metzger, und fuhr seine Nagelmesser mit vernehmlichem „Ssst...klick“ aus- und gleich darauf wieder ein. Fleischer wirbelte dagegen ein fast anderthalb Meter langes Stemmeisen locker ums Handgelenk. Für ihn hatte das nicht mehr Gewicht als ein dünner Rattanstock. „Soka... dann woll’n wir mal...“ der koreanische Technomancer verengte seine Augen zu Schlitzen, und versuchte, sich einigermaßen zu entspannen. Das war jetzt sein Job. Jetzt konnte und würde er demonstrieren, warum er auf der «Impaler» mitfuhr, und weshalb die Piraten gut daran taten, ihn dabei zu haben...
It's Hacking-Time!
Kwang griff auf die AR-Informationen zu, die in den LANs der einzelnen Container steckten. Es kostete ihn nur ein wenig Konzentration, sie abzufragen – ein Kommlink benötigte einer wie er nicht. „Verschlossen und verplombt in Shanghai... gehört einem Hersteller von billigem Plastspielzeug... – Na so was - ich wusste gar nicht, dass immer noch Karl-Kombatmage-Actionfiguren produziert werden...“ „Wir auch nicht!“ meinte Curiosity. „Wollten wir allerdings auch überhaupt nicht wissen... nimm dir die nächsten Container vor, Matrix-Hotdog! – ...und mach ’n Bisschen voran!“ „Elektrische Kettensägen für Aldi-Real... Billigschrott! Selbst erhitzende Pekingente Süß-Sauer... Soy-Imitat natürlich... Moment... was soll Tyr Inc. mit 200 Paketen Waschmittel à 1 Doppelzentner? Die sind doch ’n Sicherheitskon in der Skandinavischen Union... die Inhaltsbeschreibung von dem Container ist garantiert getürkt...“ „Kannst Du Dich reinhacken, tiefer graben... die ha’m doch garantiert irgendwelche Dateien angelegt, die verraten, was da wirklich drin is’?“ wollte Scavanger wissen. „Logo... bin ich the VERY Korean Technomancer – oder bin ich’s nicht?“ Kwang konzentrierte sich auf das System des Containers.
Unter der Datenschicht, die gefakte Angaben zu Inhalt, Absender usw. für den Zoll und wohl auch für mögliche Gelegenheitsdiebe enthielt, lag eine zweite. Geschützt natürlich. Ein Abwehrprogramm lag über der unteren, verborgenen Datenschicht. Er erkannte es sofort als das, was es war: ein Wirbel-Ice der fieseren Sorte... Es stellte sich als Bambuswald mit rasiermesserscharfen Blättern dar. Der junge Koreaner gestattete sich ein Stirnrunzeln. Da hatte man sich mit der Grafik richtig Mühe gegeben, es änderte aber nichts daran, das es sich um ein bösartiges Stück Software handelte, das jeden, der nicht den Passcode hatte, daran hinderte, die echten Frachtdaten auszulesen. Damit nicht genug, würde es sowohl die Daten als auch die Persona des Users unrettbar in einzelne Pixel zerschnetzeln wenn er es mit Gewalt versuchte. Mehr als drei ungültige Passcodes: Dito... Kwang tastete vorsichtig das Ice ab. Keine offensichtlichen oder groben Programmierfehler... da war sauber gearbeitet worden. Er suchte nach der Programmstruktur der Intrusion Countermeasures. Wenn er die analysierte, verriet sie ihm unter Umständen, wer diese bösartige Hecke programmiert hatte... Ice-Macher hatten ebenso eine Handschrift wie Leute, die VR-Spiel-Programme schrieben – oder wie Hacker bzw. Fälscher. Wenn er diese Handschrift einem Programmierer zuordnen konnte, hatte er schon halb gewonnen. Nicht nur dass es ihm erlauben würde, die virtuelle Falle zu umgehen – die Antwort auf die Frage, wer das Abwehrprogramm geschrieben hatte, würde ihm zusätzlich auch noch einen Hinweis auf den wahren Absender des Containers liefern... Kwang benutzte eine seiner komplexen Formen um die Muster und Schleifen in der Struktur der Programmierung mit anderen Stücken Ice zu vergleichen, die er in der Vergangenheit bekämpft hatte. Er verglich noch zwei weitere charakteristische Merkmale... dann war er sicher: Diese ebenso formschöne wie tückische Barriere war das Werk eines Engländers namens Michael James Sutherland. Es konnte keinen Zweifel geben... Kwang wusste ganz genau, wer Sutherland war. Wer in seiner Profession wusste das wohl nicht? Der Mann war Legende... Hatte in den Schatten gearbeitet, viele lange Jahre, vor allem in England, und war dann als freiberuflicher Sicherheitsfachmann für die globalen Megas tätig gewesen. Schließlich war er in Hongkong vor Anker gegangen, schon vor dem Crash von ’64. Der Name Sutherland als Ice-Programmierer war eindeutig, ließ nur eine logische Erklärung für den echten Absender des Containers zu: Wuxing. Er bediente sich einer weiteren Komplexen Form, um das Ice zu entschärfen. Während scheinbar ein Dutzend körperloser grüner Hände die Blätter und Stängel der virtuellen Bambushecke zu verflechten begannen, so dass ein Torbogen in der Sperre entstand, überdachte er die Implikationen. Der wahre Absender des Containers war also Wuxing oder stand mit dem Megakon aus Hongkong zumindest auf sehr gutem Fuß. Der Begriff „Triaden“ drängte sich da förmlich auf, und mit denen wollte sich der Technomancer und Angehörige der «Chinese Deadly Dwarfs» Gang nicht wirklich anlegen.
Er wandte sich an Curiosity und die beiden Orkbrüder, um ihnen seine Entdeckung mitzuteilen. „Du meinst, der Inhalt dieser Schatzkiste könnte Wuxing oder einer Hongkong Triade gehören?“ vergewisserte sich Curiosity. „Sollte uns das wirklich ernsthaft davon abhalten, das Ding zu knacken?“ lautete ihre ehr rhetorisch gemeinte Frage. „Triade oda nich’ – wenn die den Absenda va’schleian, un’ Eis drüba pack’n, is der Inhalt garantiert was wert, wa’?“ grunzte Fleischer und Metzger stimmte seinem Bruder zu: „Wia sin’ Piraten, Junge – keine Pinkel! – Wia krieg’n kein Muffensausen, weil wa’ was von Triaden hör’n, so ka?“ „Also ich möchte schon ganz gerne wissen, was dieses Schätzchen“ Dolores machte eine Geste, als ob sie die Containertür streicheln wollte „kostbares zu verbergen hat!“ „Tja – wir können wohl keenen Container hier knack’n, ohne nich’ jemanden wütend oda unglücklich zu mach’n, nee?“ Scavanger blickte den jungen Koreaner mit seinen Cyberaugen direkt an, was Kwang nur noch nervöser machte. „Mehrheitsentscheidung...“ er deutete auf den Container. „Ihr müsst es wissen... aber beklagt Euch hinterher nicht, wenn Euch der Kon, die Hongkonger Mobster und weiß der Teufel wer noch an den Fersen kleben!“ meinte der jugendliche Technomancer resigniert.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Elektronik des Containers zu. Durch das neu geschaffene Tor im virtuellen Bambuswald, als der sich das Zugangs-Ice präsentiert hatte, konnte er auf die echten Frachtinformationen zugreifen. Der Firmenname des Absenders sagte ihm nicht viel. Irgend so eine unbekannte Klitsche in Hongkong, die möglicher Weise über zig Ecken zu Wuxing gehörte oder eine Fassade der Triaden war. Der Empfänger? Tir Inc. stimmte zumindest zum Teil... Der Inhalt der Kiste und – wenn er das richtig sah, noch von 5 weiteren – ging an eine Adresse in der Freihandelszone von Christiana/Dänemark. Die Adresse war – wie sollte es anders sein – ebenfalls eine Fassade. Ein Briefkasten mit einer von Tirs exklusiven Freihandelslizenzen. Die Frachtdaten. Moment... In der AR entrollte sich Banner, auf dem der Technomancer lesen konnte, was in dem Container steckte: „Beschriebene Datenträger.“ „So kann man BTL-Chips natürlich auch umschreiben...“ überlegte Kwang laut. „Sechs Container Kong-Chips – Bingo, tät ich sagen!“ schnarrte der Ghoulpirat. „Woll woll!“ Fleischer und Metzger hauten sich begeistert gegenseitig auf die Schultern. „Das is’ses!“ „Kannst Du die Kisten mit deiner Elektronenmagie entriegeln – oder müssen unsere Chummers die auf die altmodische Art knacken?“ wollte Curiosity wissen. „Zumindest muss ich die Magschlösser erst mal deaktivieren, die elektronische Abwehr überbrücken... Ansonsten könnten die Container ein paar üble Überraschungen in petto haben, wenn ihr mit der Brechstange ran geht...“ gab Kwang zurück, und konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf die erweiterte – respektive virtuelle – Realität des LAN des Containers.
Kwang - respektive seine lebende Persona - pirschte sich vorwärts, durch den virtuellen Bambuswald. Die elektronische Sperre für das Magschloss des Containers war - wie sollte es anders sein? - weiter im Inneren versteckt. Klar, sollte ja keine Einladung für gelangweilte Hafenarbeiter mit Hackerambitionen sein... und vorher kam vermutlich noch ein weiterer Alarmtrigger, der unvorsichtigen Hackern aktives, dunkelgraues oder - wahrscheinlicher - tief Schwarzes Ice auf den Hals hetzte. Nichts, was Kwang haben musste... seit er während des Crash 2.0 in der Matrix gefangen gewesen war, und dabei beinahe krepiert wäre, machte ihm das noch weit schlimmere Kopfschmerzen als früher, wo er noch mit einem Cyberdeck ins Netz hatte einsteigen müssen. Ganz vorsichtig tastete er Boden und Bambuswände ab - beides natürlich nur Metaphern der Programmierung. "Da" Eine einzelne, virtuelle Diele stand einen Bruchteil eines Milimeters in die Höhe. "Nachtigallenboden!" Er gestattete sich das Äquivalent eines anerkennenden Lächelns. Sutherland war konsequent in der Wahl der Methaphorik des von ihm modellierten Systems: Solche Spielzeuge hatten Mandarinen und Shogunen des chinesischen bzw. japanischen Hochmittelalters als Alarmanlagen gedient, als an Elektronik, Lichtschranken und Laser noch nicht zu denken war... und waren kaum weniger wirksam gewesen, als die heutigen High Tech Spielereien der Megakons. Er tastete weiter - natürlich, er hatte es geahnt: die erste Erhebung war ein Köder, eine offensichtliche Falle, die dazu verleiten sollte, sie zu überspringen, um dann voll auf den echten Auslöser für das Reaktive Ice zu latschen. "Nicht mit The VERY Korean Technomancer!" dachte er laut. Er bediente sich einer weiteren komplexen Form, und übergroße, grüne Galloschen erschienen an den Füßen seines virtuellen ichs. Ein Salto, wie ihn ein körperlicher Adept in der stofflichen Welt nicht perfekter hinbekommen hätte, und er lief kopfunter an der hölzernen Kassettendecke entlang und überwand die Falle in sicherem Abstand. Der virtuelle Nachtigallenboden wurde vom - ebenso virtuellen - Kiesfeld eines von einem Gartenkünstler erschaffenen, chinesischen Steingarten abgelöst. Das Muster war die Sicherung für die elektronische Verriegelung des Containers. Ein Fraktaler Code. - Wenn er es korrekt veränderte, würde das Magschloss keine Autoabwehr starten können, sobald man sich unsachgemäß an ihm zuschaffen machte. Das Muster folgte den Spielregeln des Mahjong. Drei Steine verschob Kwang behutsam, einen nahm er ganz weg... noch einen nach links - und dann den entfernten in die Mitte. Schrift erschien, wo eben noch das Muster im Kies gewesen war. Klare, saubere chinesische Schriftzeichen und arabische Ziffern. Kwang löschte die Befehlsketten, die eigentlich die komplette Containeraußenwand (die nach innen natürlich gut isoliert war, um im Fall einen direkten Blitzschlag zu verkraften) unter Starkstrom setzen sollte, sobald jemand sich mit brutaler Gewalt am Schloss, den Scharnieren oder irgend einem Punkt der Containerwände versuchte. Das war heimtückisch - aber in der Sechsten Welt mit ihren exterritorialen Megakons keineswegs ungewöhnlich. "Aha!" hinter der Tür verbarg sich noch eine zweite, wesentlich tödlichere Überraschung: ein HE-Laser in einer Gyroaufhängung unter der Containerdecke, der dem Ersten, der sich den Weg ins Innere des Frachtbehälters bahnte, ein Loch in Brust oder Stirn brennen würde. Kwang kappte auch der Sentry-Gun die Energieversorgung. Eine - virtuelle - Seidenkordel, die ins Nichts führte, erregte seine Aufmerksamkeit. "Oho - der Sicherheitsmagier hätte das Schießspielzeug von seinem Blechkasten aus fernsteuern können. - Wenn irgend 'n übereifriger Zöllner darauf besteht, die Kiste zu öffnen, hätte der die Möglichkeit gehabt, die Ware zu einem Haufen verschmorten Plast zu zerschmelzen, und so alle Beweise gegen seine Arbeitgeber zu vernichten... Radikal - aber genial ausgedacht: Es gibt kein Gesetz gegen das Transportieren von zusammengeschmolzenem E-Schrott. - Außer vielleicht in Amazonien oder Pomorya..." Allerdings beinhaltete diese Feststellung auch die Implikation, dass der Magier, der die - jetzt toten - Gabrielshunde geführt hatte, mit dem wahren Absender dieses Containers unter einer Decke steckte. Er trennte zur Sicherheit auch die Kordel ab, ehe er mit seinen virtuellen Fingern den Code zum öffnen des Magschlosses in den Kies schrieb. Die Stahltür des Containers wurde entriegelt, er meinte das leise Klacken und Knirschen zu hören, als sich die mechanischen Elemente bewegten. - Dann nahm er es aus den Augenwinkeln wahr: Eine Gestalt mit spiraligen Fingernägeln, noch einmal so lang, wie die Arme und maskenhaftem, verkniffen lächelndem Gesicht, die Augen zwei schwarze Striche... und oben, wo eigentlich eine Kopfbedeckung oder irgend eine altmodische, komplizierte Hochsteckfrisur hingehört hätte, wuchs eine schwarze Blüte in die Höhe - das Zeichen der «Black Chrysantemums»! Kwang wurde übel. Er hatte den Container für die Piraten-Chummer geöffnet, die Sicherheitsmaßnahmen entschärft... aber in dem er die Kordel kappte, hatte er ein Schwarzes Ice ausgelöst, das ihn so sicher töten würde, wie nur irgend etwas.
< To be continued >