Technothaumaturgie
Technothaumaturgie ist ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das sich mit der Verschränkung von technischen Geräten und magischen Wirkungen beschäftigt, die über eine Kombination von Techniken aus dem Bereich der Technologie und Magie, wie sie vielfach mit Manatech schon realisiert wurde, hinausgeht. Die Chancen für die Umsetzbarkeit dieses Ziels werden von der internationalen Forschungsgemeinschaft für gering gehalten. Öffentliche Projekte gibt es daher kaum. Die Forschung findet im wesentlichen in geheimen Konzernlabors statt. Ein wichtiges Teilgebiet wird oft mit dem Schlagwort Matrix-Magie bezeichnet.
Ziele
Fernziel des Gebietes ist letztlich die Schaffung einer Art von Interface zwischen magischen Phänomenen und Technologie, die die Erzeugung und Steuerung magischer Phänomene durch technische Geräte sowie die Manifestation magischer Phänomene in technischen Geräten, insbesondere der Metaphorik der Matrix, ermöglicht. Magie soll nicht nur unter technische Kontrolle gebracht werden, magische Fähigkeiten sollen auch nicht magisch Begabten zur Verfügung gestellt werden.
Forschungsstand
Dass Magie und Technologie vereinbar sind, ist im Prinzip schon bewiesen worden. Der größte Teil der Sechsten Welt hat davon allerdings keine Kenntnis. Hauptsächlich weil die meisten Erfolge in dieser Richtung entweder Privatprojekte waren oder wenn sie von Konzern durchgeführt wurden, nie die Marktreife erreichten. Sie waren dann entweder nicht vielversprechend genug oder wurden durch andere Interessen geheimgehalten oder zerstört. Dadurch, dass die meiste Forschung hinter verschlossenen Türen im Verborgenen stattfindet und immer wieder sabotiert wird, sind die Fortschritte auf dem Gebiet insgesamt sehr gering.
Kombination magischer und technischer Methoden
Die parallele Anwendung von magischen und technischen Methoden ist mittlerweile weitgehend etabliert. Natürlich ist dies keine Technothaumaturgie im engeren Sinne, aber Forscher, die die Fernziele des Feldes nicht für völlig abwegig halten, sehen hierin den vielversprechensten Weg, diese Ziele irgendwann zu erreichen.
Die Entwicklung von Manatech ist in den 2060ern vorangeschritten. Verschiedene schon länger verwendete Labormethoden, wie zum Beispiel Messgeräte für die magische Hintergrundstrahlung, sind nun am Markt.[1] Die Verfügbarkeit erwachter Organismen, die oft Grundlage für Manatechprodukte sind, steht hier vorallem der Massenproduktion entgegen. Aber durch verbesserte Züchtungsmethoden und neue gentechnische und biotechnologische Entwicklungen ist dieses Problem vermutlich in den Griff zu bekommen. Die Seltenheit der magischen Begabung ist schon eher ein Hindernis für die Massenanwendung magischer Fähigkeiten für technische Prozesse. Nach wie vor werden Magier nur gezielt für besondere Projekte eingesetzt, bei denen sie unverzichtbar sind. Ein Extrembeispiel dafür ist die Cybermantie, die zudem sehr spezielles magisches Wissen benötigt.
Umgekehrt gibt es technische Anwendungen, die Magiern zur Verfügung stehen. Optische Hilfsmittel wurden vermutlich schon immer zur Unterstützung von Spruchmagie genutzt, aber die Verwendung spezialisierter Systeme auf der Basis von Glasfaserkabeln begann Ende der 2040er.[2] Ein Beispiel für eine stärker integrierte Anwendung ist die Aztlaner Blutmagier-Gestalt, die ohne spezielle technische und medizinische Betreuung sicherlich nicht möglich wäre.
Auch die Grundlagenforschung in Physik, Chemie und Biologie konnte von der Unterstützung magischer Kollegen profitieren, viele Experimente konnten durchgeführt werden, die sich vorher nicht oder nur unter Aufwendung hoher Geldmittel realisieren ließen. Zum Teil konnte damit sogar der Verfall dieser Forschungszweige aufgehalten werden, die allesamt unter mangelnder finanzieller Zuwendung leiden, seit die Hauptforschungsetats durch die Konzerne vergeben werden.
Die bezahlen für nicht anwendungsbezogene Forschung nämlich bestenfalls ein Almosen. Und ja, ich spreche da aus persönlicher _schlechter_ Erfahrung. | |
Sii |
Probleme
Inkompatibilität von Magie und Technik
Als grundsätzliches Problem der Technothaumaturgie wird häufig schlichtweg Inkompatibilität von Magie und Technik angeführt. Dieses Totschlagargument ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Mana zeigt eine Affinität für Lebendiges, während unbelebte Materie, die künstlich bearbeitet wurde, die Manasphäre geradezu zu sterilisieren scheint. Natürlich könnte man dem durch die Verwendung von Technologie auf biologischer Basis begegnen, aber hierbei steht wiederum der geringe Kenntnisstand über die Interaktion von Organismen und Mana im Weg. Auch nach sechzig Jahren Forschung und bald zwanzig Jahren Arbeit mit dem FAB-Modellsystem ist hier vieles nur im Ansatz verstanden. Oft bleibt eine Unsicherheit über das Eintreten magischer Wirkungen, die mit den technischen Anforderungen nicht zu vereinbaren ist.
Spezialfall: Matrix
Es gibt Theorien, die eine Inkompatibilität der für die magische und technomantische Begabung benötigten biologischen, insbesondere neuralen Strukturen postulieren. Die geringe Prävalenz beider Begabungen macht das Auftreten eines Individuums mit beiden Eigenschaften allerdings statistisch unwahrscheinlich. Es ist daher ungewiss, ob sich sie sich tatsächlich gegenseitig ausschließen. Zumindestens gibt es keinen verbürgten Fall, in dem ein Kind, das später magische Begabungen zeigte, durch die Tiefenresonanz oder eine der Künstlichen Intelligenzen in einen Otaku verwandelt wurde. Wenn sich die beiden Begabungen tatsächlich ausschließen, wäre das ein weiteres Bespiel für rätselhafte magisch-technische Inkompatibilität.
Kulturelle Ablehnung
In vielen Magierkreisen stoßen die Versuche Technik und Magie zu vereinigen auf Ablehnung, besonders unter Schamanen, die solche Unternehmungen als grundsätzlich unnatürlich betrachten. Hermetiker sind meist aufgeschlossener, doch auch sie verspüren, oft ein Unbehagen, da die entsprechenden magischen Techniken oft aus dem Spektrum "dunkler" oder "verdrehter" Magie stammen. Die Lebendigkeit der Magie ist eine Vorstellung, die viele Traditionen trotz ihrer sonstigen Differenzen teilen. Die ablehnende Haltung der Mehrzahl der magischen Gemeinschaften gegenüber der Cybermantie ist ein gutes Beispiel. Im Sinne der Technothaumaturgie erfolgreich angewendete magischen Praktiken werden oft vom Großteil der magischen Community abgelehnt, was den Fortschritt der Forschung natürlich behindert.
Aber auch auf der anderen Seite dieses wissenschaftlichen Joint-Ventures scheint es Bedenken zu geben. Anhänger der traditionellen Wissenschaften und Ingenieure sehen die Magie oft als irrationale Größe an und halten die Unterschiede zu ihren eigenen Disziplinen für unüberbrückbar. Obwohl der früher oft fehlende Respekt für die Legitimität der hermetischen Wissenschaft heute immer öfter vorhanden ist, herrscht doch ein großes Misstrauen gegenüber dem fremdartigen akademischen Feld.
Dass die meisten Ingenieure einen "Halbwilden" (lies: Schamane) niemals in die Nähe ihrer Geräte lassen würden, wenn sie schon ihrem respektablen akademischen Kollegen nicht über den Weg trauen, versteht sich vermutlich von selbst. | |
Agnes, die Weise |
Experten, die sich in beiden Gebieten auskennen sind rar und daher sehr gefragt. Um ein Straßenbonmot zu paraphrasieren, sie wechseln häufiger den Konzern als Mr. Johnson seine Socken. | |
Sii |
Wenn Magier und Techniker zusammenarbeiten, und zwar nicht nur am gleichen Projekt aber praktisch unabhängig voneinander jeder auf seinem Gebiet, sondern eine tatsächliche Kooperation an einer technothaumaturgischen Entwicklung, gilt es also erstmal viele Differenzen im Zugang zu diesem Thema auszuräumen. Viele Konzerne investieren von Zeit zu Zeit in solche Projekte, produktive Kooperation herzustellen, gilt aber als große Herausforderung.
Da habe ich noch eine nette Geschichte. BelTrix, wer die noch kennt, stellte ja eigentlich Matrixhardware her und sie haben als Lieferant für Fuchi und später Novatech gutes Geld gemacht, aber offensichtlich wollten sie ein neues Feld eröffnen. Sollte natürlich etwas besonderes sein: Matrix-Magie. Sie nahmen sich ein paar von ihren besten Entwicklern und steckten sie mit ein paar eingekauften Magiern zusammen. Das Problem war, dass es nicht gut lief. In kürzester Zeit hatte sich die gesamte Entwicklungsabteilung in zwei feindliche Lager gespalten. Da kam ein junger Exec auf die Idee, dass ein zweiwöchiges Survivaltraining die Abteilung zusammenschweißen würde. Die zwölf Mann wurden auf eine pazifische Insel ausgeflogen, die BelTrix schon seit einigen Jahren gehörte, dort wurden sie in Zweierteams, je ein Magier und ein Matrixingenieur, eingeteilt und sollten sich durch den Dschungel schlagen. Nunja der Exec hatte offensichtlich vergessen nochmal durchzuchecken, ob die Insel auch noch dem letzten Datenbankstand entsprach. Ich habe nie genau erfahren, was es nun eigentlich für Viecher waren, nur dass ein paar Tierfreunde auf der Insel irgendwelche Paracritter ausgewildert hatten, deren Existenz sie auf dem Festland bedroht sahen. Jedenfalls kam von den Forschern nur einer durch, ein Magier, und das auch nur weil er sich frühzeitig abgesetzt hatte und direkt von der Insel durch einen Konkurrenzkonzern extrahiert worden war. Schätze BelTrix konnte es ihm nichteinmal verdenken. In der Abteilung des Execs sollen jedenfalls wochenlang Köpfe gerollt sein. Wahre Geschichte, Jungs und Mädchen! | |
Tanzt-In-Der-Matrix |
Momentmal das könnte wirklich stimmen. Würde die plötzlichen Einbrüche des Aktienkurses erklären, die der Vorstand nie kommentiert hat, und dann den Aufkauf durch das finanzschwache Novatech vor dem Crash. | |
Sunny |
Natürlich. Hast du etwa was anderes erwartet? | |
Tanzt-In-Der-Matrix |
Projekte
Im Artikel Matrix-Magie finden sich weitere Projekte, die sich speziell mit der Verknüpfung von Magie und Matrix beschäftigen. Der entscheidenste Durchbruch ist hier vermutlich das Cyberdeck, das der Älteste Leonardo nach paraoptischen Prinzipien geschaffen hat.
Beiersdorf AG
Stefan Brückner, ein führender Forscher der Beiersdorf AG, arbeitete unautorisiert an "arkaner Cyberware", die es Personen ohne magische Begabung erlauben sollte Zaubersprüche zu nutzen. Der technische Aspekt bestand hierbei in der operativen Einführung von Fetischen und Foki in den menschlichen Körper, eine Form von kybernetischem Kontrollmechanismus wurde dabei vermutlich auch designt, um den Zugriff auf die Zauber zu ermöglichen. Die notwendige operative Technik wurde durch illegale Menschenversuche in Kooperation mit Hamburger Straßendocs und Schattenkliniken entwickelt. Durch den Verrat von Brückners Assistenten Niels von Wersch und die Intervention des Runnerteams Pik Dame konnte der tatsächliche Erfolg der Methodik letztlich nicht ermittelt werden, zumal Brückner selbst während seiner Forschung durch sein Elementar James für dessen eigene Zwecke beeinflusst wurde.[3]
Proteus AG
Die Proteus AG forschte unter anderem in Richtung magischer Datenbeeinflussung. Sie kooperierte in Prag mit dem irren, vercyberten Magier Krumpf und dessen Arbeitgeber MCT, um Cyberware für Magier zu entwickeln. Zum Beispiel Cyberaugen, die den Träger beim Askennen unterstützen sollten. Insgesamt waren die Forschungsergebnisse mehr als unbefriedigend. Krumpf war aber immerhin - trotz seines Wahnsinns - im Stande, Daten in einem Cyberdeck magisch zu verschlüsseln oder zu versiegeln.[4]
Winternight
Winternight gelang es einen Prozess zu entwickeln mit dem die Energie einer thermonuklearen Reaktion fast vollständig in elektromagnetische Energie umgewandelt werden konnte. Die Tatsache, dass die Geräte ohne Überwachung durch Magier funktionierten, könnte auf eine tatsächliche magisch-technische Interaktion im Sinne der Technothaumaturgie hindeuten.[5]
Manafluss-Machine Learning
Ein neuer Ansatz kommt von der griechischen Forscherin Sofia Theotokis. Sie hat ihre aktuelle Arbeit leider bisher nur im geringen Maße veröffentlicht. Die Grundidee ist, dass ein Computersystem eine Population von dualen Mikroorganismen steuert. Diese befinden sich in einer Suspension auf einer Oberfläche, die aus vom Computer regulierten Thermoelementen besteht. Die Mikroorganismen reagieren auf die Wärme und ordnen sich je nach Einstellung recht zügig in bestimmten Mustern auf der Oberfläche an. Dr. Theotokis Theorien zufolge tritt durch die Positionsveränderung der Population so etwas wie Mikrokanalisierung von Mana auf, wobei nach der Symbollehre, die geformten Muster bedeutsam sind. Theotokis askennt den Manafluss und ihre per EEG aufgezeichneten Gehirnströme dienen dem Computer als Feedback. Ziel ist das System darauf zu trainieren bestimmte Manaflüsse zu erzeugen und langfristig natürlich auf diesem Weg Zauber zustande zu bringen.
Sofia Theotokis ist Spezialistin für Wahrnehmungszauber. Ihre Doktorarbeit Rube Goldberg in the Realm of Magic ist zwar sehr umstritten, aber selbst ihre größten Kritiker loben ihren Einfallsreichtum. Die Arbeit war eine experimentelle Studie über physikalisch-astrale Interaktion mittels metamagischer Techniken. Theotokis hat zum Beispiel Wahrnehmungszauber genutzt, die akustische Signale eines Computers erkennen und dann einen verankerten Zauber auslösen, der wiederum ein Versuchstier verzaubert. Das besondere war das Spruchdesign der Wahrnehmungszauber, die unterschiedliche Signale "verarbeiten" konnten und je nach Signal den verankerten Zauber anders beeinflussten. Natürlich bleibt die Tatsache, dass das System immer erst von Magiern eingerichtet werden muss. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was von ihr noch kommt. | |
Leseratte |
Kann ich dir sagen, da kommt nichts mehr. Theotokis sollte letzte Woche auf einer Pariser Konferenz sprechen, aber sie ist verschwunden. Sie ist in den Flieger in Athen eingestiegen, aber bei der Landung auf Charles de Gaulle fehlte sie. Und nicht nur sie, drei weitere Passagiere und fünf Minuten Aufzeichnungen der Blackbox sind ebenfalls weg. Ihr Labor ist bis auf weiteres versiegelt worden. Aber ein massiver Hackerangriff kurz nachdem sie verschwunden war, soll die Matrixsysteme des Instituts, an dem sie gearbeitet hat, gegrillt haben. | |
apeman |
Ich habe gehört EuroPol untersucht Theotokis Kontakte zu irgendeiner obskuren Sekte, die im europäischen Raum operiert. Ich vermute einer der Eurokons, nehme mal an der, der Theotokis hat, hat seinen Einfluss genutzt, um die Cops von ihrer Fährte abzulenken. | |
sir vibe |
Frühere Zeiten
In der Vierten Welt gab es Ansätze, die Ähnlichkeit mit den technothaumaturgischen Ideen aufweisen. Die magische Elite des Theranischen Imperiums, die Himmlischen Heerscharen, entwickelten sogenannte magische Augmentationen. Ihre Erfolge basierten oft, auf der Bereitschaft "widernatürliche" Methoden anzuwenden, um ihre Fortschritte zu erzielen. Ihr Wissen könnte bei den Himmlischen Heerscharen von Azania noch immer vorhanden sein.[6]
Andere Bedeutungen des Begriffs
Ursprünglich verstand man unter Technothaumaturgie, eine fortschreitende, technische Entwicklung, die gerade diejenigen "Wunder" einlöste, die man sich von der Magie immer versprochen hatte. Nach 2011 wandelte sich der Begriff vollständig.
Endnoten
Quellenangabe
- ↑ Arsenal ?
- ↑ Awakenings: New Magic in 2057 S. 36
- ↑ Roman: Auf dem Sprung Kapitel 42
- ↑ Deutschland in den Schatten-Romantrilogie ?
- ↑ System Failure ?
- ↑ Earthdawn: The Theran Empire S. 21