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Version vom 23. Februar 2013, 15:45 Uhr von Loki (Diskussion | Beiträge) (7 Versionen)
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Im Nachhinein betrachtet bin ich eigentlich selbst schuld an meiner Misere. Lächeln, umdrehen, gehen, die Stadt verlassen. Das wäre der schlaue Zug gewesen. Tiefgründiges Nachdenken ist noch nie meine Stärke gewesen. Der Lauf der Pistole zittert. Ich kann direkt in die Mündung sehen. Das Licht einer Straßenlaterne vor dem Fenster scheint sich auf der Kugel im Lauf zu brechen. Ich blicke für einen Moment an der Waffe vorbei, in dieses unglaublich charmante Lächeln. Ein halbes Lächeln jetzt nur noch. Die Geschichten von der Straße sind gequirlte Scheisse. Kein weisser Blitz, mein Leben zieht nicht vor meinem geistigen Auge vorbei, kein Engel oder Teufel lehnen sich über meine Schulter und flüstern mir von der Unendlichkeit ins Ohr. Nur ich, die Pistole und die Erkenntnis, dass ich einen Fehler gemacht habe. Das trockene Klicken des sich spannenden Hahns gibt mir einen Vorgeschmack auf den Preis, den ich jetzt dafür zahlen werde.

Und dabei hat alles so vielversprechend angefangen...


Der Anrufalarm riss mich aus meinen SimSinn-induzierten Träumen. Langsam und sehr widerstrebend kletterte ich aus den Armen der Playmates '70 hinauf in die grauen Weiten der wachen Welt. Mein Appartment, oder eher die muffige Kellerbude, die ich so nannte, lag im Dunkeln, nur das Display des blinkenden und pfeifenden Comlinks schickte zuckende Lichter an die dreckigen Wände. Schlaftrunken und noch immer mit dem Gefühl seidiger Brüste an meinem Rücken grabbelte ich mein AR-Headset vom Boden.

"Wasislos?", nuschelte ich. Das Gesprächsfenster öffnete sich und Toni Beluga grinste mich fröhlich und ekelhaft munter an. Er hatte auch einen richtigen Nachnamen, aber für den interessierte sich niemand. Er stellte sich als T. Beluga vor, weil er diese ekelhaften Fischeier so gern mochte. Wir nannten ihn so, weil er so fett wie ein Walfisch war.

„Toni.“ Seufzend rollte ich herum und schaltete den SimSinnPlayer des Comlinks aus. „Was wills du?“

Toni schüttelte den Kopf.

„Kein freundliches 'Guten Morgen'? Kein 'Hallo'? Kein 'Hey, Toni, mein bester Freund, der mir die besten SimPornos noch vor der Stammkundschaft anbietet'?“ Ich gähnte, mehr aus wirklicher Müdigkeit, aber Toni schien es als demonstrativ aufzufassen. Er verdrehte die Augen und sein Lächeln verschwand. „Wie auch immer. Constantino braucht dich, er wartet in der Ochsbraterei.“, sagte er. „Typisch, warum auch irgendwo rumhängen wo man das Bier bezahlen kann...“, murmelte ich und stemmte mich von der Matraze hoch. „Hey, wenn du bei der Sache in Moosach keine Scheisse gebaut hättest, dann würdest DU jetzt da sitzen!“, fauchte Toni. „Jaja, was auch immer.“, brummte ich. Die Erinnerung an 'die Sache' lag unangenehm und noch nicht allzu lange zurück. „Sag Constantino, ich brauch mindestens ne Stunde. Die ID meiner Karre bleibt spätestens bei AA kleben.“


90 Minuten später schob ich mich zusammen mit der üblichen Masse an Einheimischen und Touristen aus der S-Bahn und die Treppen nach oben, vorbei an den Schickimickigeschäften in den Zwischenebenen und an die Oberfläche. Der Münchner Marienplatz war wie immer überlaufen mit Touristen, die ihre teuren Kameras schwenkten, teure Ansichtskarten kauften und in teuren Bonzencafes teuren Cappuccino schlürften. Ich drückte mich mürrisch durch die Menge und bog an der Kirche ab in den Viktualienmarkt, in eine noch größere Meute Touristen. Dafür hasste ich den Markt besonders. Ein Stück Münchner Tradition und sie schlachteten es gnadenlos aus, prostituierten es für ihre Ansichtskarten, T-Shirts und „ein Stück Münchner Himmel“, wie die Trid-Werbespots und Arrows hinausposaunten.

Wie Toni gesagt hatte, saß Constantino in der 'kleinen Ochsenbraterei' an einem altmodischen Biergartentisch, eine Maß Bier und einen Teller mit den Überresten einer fleischigen Mahlzeit vor sich. Ein Mädchen saß neben ihm, keine zehn Jahre alt. Die beiden tuschelten eine Weile, dann flitzte die Kleine durch die Tür und in der Menge davon.

„Nich'n bischen jung für dich, omae?“, fragte ich und setzte mich Constantino gegenüber. Er grinste und spülte den letzten Bissen mit einem kräftigen Schluck Bier herunter.

„Touris geben ihr Zeug ja nich freiwillig ab. Nina is ziemlich gut, wie ihre ganze Truppe. Sie bring'n das Zeug, ich bring ihnen die Chips. Ob sie die verticken, oder selber einwerfen, mir egal.“ Er rülpste laut. Ich hätte ihm am liebsten mit dem Bierkrug den Schädel eingeschlagen. Nicht für seinen lockeren Umgang mit seinem Job als Hehlerwaresammler und BTL-Dealer, sondern weil dieser Job mir gehört hätte, wenn dieses Arschloch Markward nicht... Ich würgte den Gedanken ab.

„Toni sagte, du brauchst mich. Was gibt’s?“, fragte ich.

„Wärste pünktlich gewesen, nen Kuri-Job.“ Constantino wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. „Aber so... nüx. Kannst die Fliege machen.“

Ich starrte ihn an. Der Wunsch ihn einem Feldtest unnötiger Gewaltanwendung zu unterziehen wuchs direkt proportional mit meiner Wut über den arroganten schleimigen Drecksack. Ich stand ruckartig auf, warf Constantino den mörderischsten Blick zu, den ich auf Lager hatte und verließ wutschnaubend die Ochsenbraterei.

Ich hatte den Weg zurück zur S-Bahn noch nicht halb zurückgelegt, als das Knallen großkalibriger Pistolen das Gemurmel der Menschenmenge zerriss und in Schreie der Angst verwandelte. Überall um mich herum rannten MetaMenschen in Panik davon, oder warfen sich schutzsuchend in jede Deckung, die sie finden konnten.

Ich rannte los, rempelte mich durch die Masse, riss dabei um wer im Weg stand. Ich schlitterte um die Ecke der 'Heiliger Geist' Kirche und presste mich tief in den Eingang. Eine Horde trampelte in blinder Panik vorbei, während ich mein Comlink mit zitternden Fingern bediente. Constantino war entweder zu sehr mit flüchten, zurückschießen, oder verstecken beschäftigt, um Anrufe entgegen zu nehmen. Ich legte auf. Die letzten Reste der Marktbesucher verliefen sich. Die Schüsse hatten aufgehört, dafür hatte die Panik nun die Masse der MetaMenschen auf dem Marienplatz erfasst und brachte sie in Bewegung. Ich verließ den Kircheneingang und bewegte mich langsam von Deckung zu Deckung, zurück über nun wie ausgestorben daliegenden Viktualienmarkt. Ich hatte wenig Heldenblut in mir, zumindest keines, von dem ich wüsste. Aber wenn Constantino in Schwierigkeiten steckte konnte ich vielleicht eine Punkte gutmachen, wenn ich ihn rausboxte.

Meine Pläne fielen wie ein Kartenhaus zusammen, als ich die Ochsenbraterei erreichte. Constantino lag quer über den Tisch. Sein Rücken war eine blutige Masse aus gesplitterten Knochen und zerfetztem Gewebe. Ein Einschussloch prangte mitten auf seiner Stirn. Ich schloss mich der breiten Masse an. Ich rannte.