Benutzer:Kathe/Sewastopol - Geschichte einer Flussfahrt: Unterschied zwischen den Versionen

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==Prolog==
Die Musikinsel pulsierte an diesem Donnerstag vor Leben – wie eigentlich immer...  
Die Musikinsel pulsierte an diesem Donnerstag vor Leben – wie eigentlich immer...  
Die den AROs der verschiedenen Läden angehängten Jingles, die um Kundschaft wetteiferten, brüllten gegeneinander und gegen die Musik an, die aus den einzelnen Bars, Bistros und Restaurants drang, und alles mit einem lärmigen Klangteppich überzog.  
Die den AROs der verschiedenen Läden angehängten Jingles, die um Kundschaft wetteiferten, brüllten gegeneinander und gegen die Musik an, die aus den einzelnen Bars, Bistros und Restaurants drang, und alles mit einem lärmigen Klangteppich überzog.  

Version vom 29. August 2012, 17:36 Uhr

Prolog

Die Musikinsel pulsierte an diesem Donnerstag vor Leben – wie eigentlich immer... Die den AROs der verschiedenen Läden angehängten Jingles, die um Kundschaft wetteiferten, brüllten gegeneinander und gegen die Musik an, die aus den einzelnen Bars, Bistros und Restaurants drang, und alles mit einem lärmigen Klangteppich überzog.

Die AR war eine einzige Spamzone und der Astralraum spiegelte für die, die ihn wahrzunehmen vermochten, ein einziges Chaos unterschiedlicher ebenso greller wie oberflächlicher Emotionen: Gier nach dem nächsten Kick, der neuesten Sensation, die widersprüchlichen Erwartungshaltungen der Leute, der verzweifelte Drang der Shopper und Nachtschwärmer die innere Leere zu bekämpfen und unterschwellige Versagensängste.

Curiosity kannte das – das war praktisch in jeder dieser Malls und Center voller Clubs, Diskos und Erlebnisgastronomie das selbe. Es war wie so oft: Sie begleitete den Käpt'n zum Treffen mit einem der üblichen Schmidts, einem anonymen Auftraggeber, der Karel mit seinem Schiff und seiner Crew anzuheuern wünschte. Treffpunkt war das «Captain's Diner» - kein Laden, den sie gewählt hätte, auch wenn der gezüchtete Hummer, den sie dort servierten, ganz akzeptabel war.

Kwang, der ebenso mit von der Partie war, wie der jugendliche Afrikaner Doggo, wirkte nervös. Nach dem, was der junge Technomancer sich in Trondheim geleistet hatte, fürchtete er verständlicher Weise – die Vergeltung von GGW und seinem Mutterkonzern AG Chemie. Konzerne reagierten sehr angefressen, wenn man ihre F&E-Einrichtungen in die Luft sprengte, und Millionen von Euros ins Wassergrab der verdreckten Nordsee beförderte. Verglichen mit dem Risiko, von dem geschädigten Megakon aufgespürt und durch ein Hit-Team ausgeschaltet zu werden, war die Gefahr, einem der Ganger der «Holstenzombies» über den Weg zu laufen, eher zu vernachlässigen...

Während der Koreaner in der grünen Pilotenjacke, die deutlich sichtbar das Emblem des Ex-Hamburger Chapters der «Chinese Deadly Dwarfs» zierte, sich jedoch in dieser Umgebung ungeachtet all des AR-Spams, der für ihn als Techno kaum auszublenden war, ganz selbstverständlich bewegte, war das bei Doggo schon etwas anderes. - Der ehemalige Kindersoldat von der Elfenbeinküste wirkte in Synthleder-Klamotten an stelle seines üblichen Tarnfleck-Drillichs geradezu verkleidet, und seine Augen bewegten sich noch hektischer und nervöser als sonst.

Dass er sich unwohl fühlte, mochte allerdings ebenso daran liegen, dass er sein MG 3 nicht in Reichweite hatte, das er in der Neuen Mitte der Hansestadt logischer Weise nicht mit sich herumschleppen konnte, wie an den Massen der Menschen und Metamenschen, der ungewohnten Kluft oder dem umgebenden Lärm. Der in grellem rot, weiß und blau gehaltene Arrow, der auf den Eingang des «Captain's Diner» hinwies, wurde teilweise von einem anderen überlagert, der die Nachtschwärmer und Clubhopper warnte, dass der Konsum von illegalen BTLs und Drogen – insbesondere von Tempo – auf dem gesamten Gelände der Musikinsel und in allen zugehörigen Lokalen streng verboten sei und mit sofortigem, lebenslangen Hausverbot und Anzeige geahndet würde. Curiosity hatte nicht den Eindruck, dass diese Warnung irgendjemanden abhielt oder abschreckte...

Der Käpt'n hatte sich bezüglich seines Outfits am als Treffpunkt gewählten Lokal orientiert, und trug eine weiße Operetten-Kapitänsuniform mit reichlich Goldlametta. Curiosity selbst hatte sich – passend dazu - in eine pseudo-viktorianische Robe in blau, antrazith und Gold gehüllt. Die Sachen aus der «Steampunk»-Linie von Vashon Island hatten schon etwas, fand sie, auch, wenn es natürlich verboten teuer war, per Nanofax maßgeschneiderte Designeranzüge und Roben zu tragen...

Um so wichtiger war es dementsprechend, dass endlich mal wieder ein Job an Land gezogen wurde, der richtig dicke Creds brachte. Sie betraten das proppenvolle Lokal, und eine der leichtgeschürzten Bedienungen eilte auf sie zu, um zu fragen, ob sie reserviert hätten. Sie deaktivierte für einen Moment die AR-Sicht, und bekam bestätigt, was sie ohnehin vermutet hatte: Das «Captain's Diner» war noch nicht einmal zu einem Viertel besetzt, und die Massen der Gäste waren in Wirklichkeit virtuelle Personen, die einen weit aus größeren Besucherandrang vortäuschten, als es ihn in der Realität gab.

Der Karel meinte, sie hätten einen Tisch für fünf Personen auf den Namen Schmidt reserviert und transferierte einen kleineren Eurobetrag. Auf dem Gesicht der Bedienung schien die Sonne aufzugehen. Offenbar waren die Trinkgelder heute bislang eher klein ausgefallen, und der Käpt'n ließ sich, was das anging, natürlich nicht lumpen. Sie wurden zu einer Nische geführt, die vom restlichen Gastraum des im Stil eines Ausflugsrestaurants gestalteten Lokals durch eine säuberlich gestutzte Buchsbaumhecke abgetrennt war. Klappstühle, die unbequemer aussahen, als sie waren, umrahmten einen Tisch aus weiß lackiertem Holzimitat.

Ihr Auftraggeber erwartete sie bereits. Der streng geschnittene Anzug des russischen Labels karenina schrie förmlich „Vory“ und die beiden Typen mit Bodybuilder-Figur in dunklen Anzügen von der Stange und mit den obligatorischen Sonnenbrillen, die den Stuhl des Schmidts wie zwei Ölgötzen flankierten, bestätigten diesen Eindruck.

„Herr Schmidt?“ Karels Frage war rein rhetorischer Natur. Der zukünftige Auftraggeber nickte. „Da.“ „Karel, Kapitän der «Impaler of Irongrad», Dolores, Kwang Doggo...“ stellte er seine Begleiter vor. „Sie haben ein geschäftliches Angebot für uns?“ „Da.“ „Noch einsilbiger, als dieser Russe geht es ja wohl kaum...“ dachte Curiosity und wechselte kurz auf Astralsicht. Die Aura des Mannes strahlte Ruhe und Selbstsicherheit aus, kein Hinweis auf übertriebene Wachsamkeit, die darauf hingedeutet hätte, dass das Jobangebot eine Falle war, oder er doppeltes Spiel trieb. Ein paar dunkle Flecken deuteten auf etwas dezente Augmentik hin, und die insgesamt eher blasse Farben darauf, dass es mit dem allgemeinen Gesundheitszustand des schweren Mannes nicht zum Besten stand. Sie war keine Sanologin, aber sie hätte wetten können, dass Kreislauf, Blutfettwerte und Leber des Vory-Bosses mehr als nur ein wenig angegriffen waren. Er hätte vermutlich gut daran getan, sich in einer der berühmten Biokliniken Sewastopols nach allen Regeln der Kunst rund erneuern zu lassen. - Die nötigen Euros dafür besaß er garantiert, aber das war letztlich nicht ihr Problem....

„Ich nehme an, es geht um einen Transport?“ erkundigte sich der Käptn. „Da. - Mehrere schwere und... ähm, eher sperrige Objekte müssen auf dem Wasserweg nach Sewastopol verfrachtet werden. - Diskret. Man sagte mir, dass Sie Dergleichen übernehmen...“ „Sewastopol?“ Karels Stimme hatte einen fragend-ablehnenden Unterton. Natürlich. Er war jahrelang auf der Balkanroute gefahren, und hatte seine Geschäftstätigkeit ja eigentlich gerade deshalb in den Norden verlagert, weil er vom Operieren in einem permanenten Bürgerkriegsgebiet die Schnauze gestrichen voll hatte. Wenn er jetzt in seine alten Gewässer zurückkehren sollte, musste ihm der Schmidt schon ein wirklich lukratives Angebot unterbreiten. „Sperrige Fracht? - Was genau?“ wollte er wissen. „Frachtraten richten sich nach Art, Menge und Legalität der zu transportierenden Güter, wobei auf der Balkanroute natürlich in jedem Fall der obligatorische Gefahrenzuschlag für Fahrten durch Kriegsgebiete und heiße Zonen hinzukommt...“ Der Russe schwieg. An seinem Gesicht war nicht abzulesen, ob er die Worte Karels als akzeptable Bedingungen oder als unverschämtes Ansinnen betrachtete. Vermutlich überlegte er, wie viel er bereit war, preis zugeben, ehe der Käptn definitiv zugesagt hatte, den Auftrag zu übernehmen. „Maschinen.“ sagte er dann. „Sieben. In Länge von zwei genormte Frachtcontainer, Höhe einer, Gewicht je 40, 50 Tonnen. Nicht stapeln. Müssen Ziel erreichen unbeschädigt.“ „Panzer?!“ Karel stieß mit einem Zischen die Luft aus. Die Vorstellung mit einer Schiffsladung militärischer Fahrzeuge die Linien zwischen MET, UN-Blauhelmen und mindestens einem Dutzend verfeindeter Bürgerkriegsparteien passieren zu müssen, schmeckte ihm ganz eindeutig nicht. „Schienenfahrzeuge!“ entgegnete der russische Schmidt, was nach Curiositys Ansicht zwar schon deutlich weniger heikel war, als militärische Hardware, aber dafür eine ganze Reihe anderer Fragen aufwarf. „Sie wollen, dass wir Lokomotiven transportieren?“ vergewisserte sich der Käptn, der offenbar ähnlich dachte. „Da. Lokomotiven, Pullman-Wagen... einen Postwagen von Eilpost Turn und Taxische... Sammlerstücke. Historisch. Unversehrtheit absolute Priorität!“ bestätigte der Russe. „Diebesgut.“ warf Kwang ein. Alle Augen wandten sich dem Technomancer zu. Vermutlich sogar die der Bodyguards, auch, wenn man das hinter den dunklen Sonnenbrillen nicht sah. “Was will ihr Crewman sagen damit?“ die Stimme des Russen hatte mit einem Mal einen drohenden, scharfen Unterton. „Na bravo“ dachte Curiosity. „Weiß dieser Bursche denn nie, wann es besser ist, die Klappe zu halten? - Dabei ist er doch nun wirklich kein Kid mehr mit seinen 19 Jahren, und die Erfahrung müsste ihn doch eigentlich längst gelehrt haben, dass es keine gute Idee ist, wenn man einem Herrn Schmidt, erst recht einem Vertreter der Vory v Zakone, auf die nass forsche Art kommt!“ „Vor zwei“ Kwang schien einen Moment zu überlegen, „das heißt, vor mittlerweile drei Tagen gab es einen bewaffneten Einbruch in ein verkehrshistorisches Museum, das zu den größten und bekanntesten der gesamten Allianz gehört. Mindestens neun schwer bewaffnete Täter sind mit Drohnen- und Hacker-Unterstützung in die Ausstellungsräume eingedrungen. Sie haben die Alarmanlagen außer Funktion gesetzt und sämtliche physischen, elektronischen und astralen Sicherheitsmaßnahmen überwunden. Die Einbrecher wussten genau, was sie wollten, und sind absolut rücksichtslos vorgegangen: Ein halbes Dutzend Wachleute wurden bei dem Überfall getötet, ebenso wie zwei der abgerichtete Barghests... Gestohlen wurden lediglich einige der absoluten Prunkstücke der eisenbahn-historischen Abteilung, und von den Tätern fehlt bislang jede Spur.“ Das Schweigen, das nach Kwangs Erklärung die Nische mit dem Tisch ausfüllte, war bleischwer, und beinahe mit Händen zu greifen. Der russische Herr Schmidt beugte sich leicht nach vorn, während die Hände seiner beiden Bodyguards synchron unter ihren Jacketts verschwanden. „Gut informiert Ihr, Crewman!“ die Stimme des Russen klang mit einem Mal kalt, schneidend und hart wie Glas. „Sie übernehmen Auftrag?“ Auch wenn der letzte Satz als Frage formuliert war, ließen die Betonung der Worte und der Gesichtsausdruck des Schmidts keinen Zweifel daran, dass ein „Nein“ als Antwort nicht akzeptiert werden würde. „Ja“, entgegnete Karel, „wobei zuvor allerdings noch die Frage der Bezahlung und der Details des Auftrags zu klären wären...!“ Er hoffte, dass man ihm nicht ansah, was er dabei dachte: „Dreck, verfluchter...“ Durch Kwangs vorlaute Äußerung war aus einem ganz normalen, geschäftlichen Gespräch zwischen einem Flussschiffer und seinem potentiellen Auftraggeber eines jener unglückseligen Angebote geworden, die man nicht ablehnen konnte, wie es in diesem alten Mafia-Streifen geheißen hatte. Er hasste es, wenn er gezwungen war, mit einem Geschäftspartner auf dieser Basis zu verhandeln.

Eine halbe Stunde später, als Karel, der letzte Käpt'n der königlich-böhmischen Gebirgsmarine, wie er sich gern nannte, die Überweisung des Vorschussses für die Fahrt via Kommlink entgegen nahm, war er schon wieder deutlich entspannter. Der russische Schmidt hatte sich was die Bezahlung anging, nicht lumpen lassen. Verladen werden würde die Fracht in einem der zahllosen Seitenbecken des Freihafens, wo es genügend Schwimmkräne, Eisenbahngeleise und freie Anleger gab. Zu nächtlicher Stunde würde ihnen dort vermutlich keine HAZMAT-Patrouillie in die Quere kommen.